Der Artikel „Der Film, den KEIN Christ schauen darf“ gibt eine kurze, prägnante Einführung in das Themenfeld Christ und Film. Es kann hilfreich sein, ihn vorher gelesen zu haben, um den folgenden Artikel besser zu verstehen.
„Ich bin Forrest. Forrest Gump.“
Forrest Gump in Forrest Gump
„Buch des Ursprungs Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.“
Das Evangelium nach Matthäus 1,1
Die beiden obigen Aussagen haben scheinbar nichts miteinander zu tun. Aber im Grunde funktionieren sie ähnlich, denn sie stellen die Grundlage für den Lebensbericht zweier Personen dar: links Forrest Gump, ein Filmcharakter, und rechts Jesus Christus, Davids, Abrahams und schlussendlich Gottes Sohn. Forrests Lebensgeschichte wird über den ganzen Film hinweg erzählt, von ihm selbst als Erzähler und mit ihm selbst als Hauptakteur. Und dieser scheinbar nichtssagende Satz eines Hauptdarstellers aus einem Film, der auch noch genauso wie die Hauptrolle selbst heißt (schlicht genial oder schlicht einfallslos?), gehört zu den bekanntesten und wichtigsten Zitaten der Filmgeschichte. Wie kommt das? Nun, dieser eine Satz stellt die Grundlage für die Entfaltung einer Geschichte: der Geschichte von Forrest Gump. Vor allem ist die Geschichte von Forrest Gump zugleich einerseits die Geschichte von Amerika und andererseits ein Gegenentwurf zur Geschichte Jesu Christi, dem Evangelium. Wie diese beiden Geschichten funktionieren, was sie im Kern ausmacht und wo sie sich grundlegend unterscheiden, wollen wir im Folgenden genauer unter die Lupe nehmen:
„Hä, die Geschichte Amerikas? … Klar, im Deutschunterricht lernt man ja, so ziemlich alles in ein Buch reinzulesen, aber das ist doch ein bisschen weit hergeholt?! Forrest Gump ist eine fiktive Lebensgeschichte – zweifelsohne gut erzählt. Aber eben fiktiv. Da geht es doch nicht um Amerika als Land oder Gesellschaft?“
Zum einen mag das sicher stimmen: Forrest ist ein armer Landei-Naivling, der durch märchenhafte Vorsehung und Zufälle mehr erreicht als die meisten anderen Menschen. Seine Lebensgeschichte ist davon geprägt, dass er förmlich die Treppen hochfällt. Das liegt daran, dass er immer freundlich wie auch unvoreingenommen ist und in allem nur das Gute sieht – Mr. Nice Guy wie er im Buche steht. Doch weit darüber hinaus verkörpert seine persönliche Lebensgeschichte die Vorstellung der US-amerikanischen Gesellschaft vom American Dream (bekannte Story: „Vom Tellerwäscher zum Millionär. Du musst nur an dich glauben, dann kannst du alles…“). Unbestreitbar erzählt der Film mehr als die Geschichte eines beschränkten Jungen, der es durch glückliche Zufälle zu etwas bringt. Alles in allem vermittelt Forrest Gump eine große Geschichte, ein „Evangelium“ der Selbstentfaltung des eigenen Potentials. Diese Kernbotschaft sollten wir bei allem Wertvollen, das der Film zur Sprache bringt, nicht übersehen. Ich für meinen Teil schaue ihn immer wieder gerne und bin damit nicht allein. Aber Gottes Kinder sollten sich nicht erzählen lassen, dass sich ihr Leben um Selbstverwirklichung und -findung dreht. Das ist schlichtweg kein biblisches Evangelium.[1] Doch um das zu erkennen, müssen wir
- einerseits verstehen, wie Filme ihre Geschichte erzählen und was sie erreichen wollen
- und andererseits den „Erzählrhythmus“ des Evangeliums Jesu kennen.
Aber woher kommt es im Allgemeinen, dass wir uns solche Ersatz-Erzählungen anstelle des Evangeliums ausdenken? Dafür müssen wir einen Blick zurück in die Geistesgeschichte werfen (ja, Filme verstehen hat was mit Geschichte zu tun😉).
Filme erzählen eine Geschichte – denn wir haben in unserer Kultur keine mehr!
Vereinfacht gesagt: Gotthold Ephraim Lessing[2] hat unsere Geschichte in der Horizontalen (die Geschichte hat ein Ziel), Immanuel Kant[3] in der Vertikalen (Gott offenbart sich in unsere Welt und Geschichte hinein) auseinandergerissen. Übrig bleibt ein zusammenhangsloser Kosmos ohne innewohnende Bedeutung (schöpfungsbedingte Struktur) und Orientierung (Ausrichtung auf Gott, den Schöpfer). Wenn uns im Endergebnis demzufolge der Verlauf der Geschichte keine Wahrheiten vermittelt und Gott selbst sich nicht zeigt und in die Geschichte hinein offenbart, dann müssen wir in der letzten Konsequenz der Geschichte einen Sinn verleihen.[4] Das Ergebnis davon nennen wir „Postmoderne“. Ihre Auffassung von Wahrheit und Sinn ist bestimmt von „Wahrheitspluralismus“ (Wahrheit ist beliebig, jeder hat seine eigene). Die Moderne (Zeit ab der Reformation bis zum frühen 20. Jahrhundert ging noch von allgemein feststellbarer Wahrheit aus). Schlussendlich haben wir uns im Westen auf eine alternative Geschichte geeinigt: Ihr zufolge gibt es
- keinen letztgültigen Sinn,
- keine letztgültige Wahrheit und
- faktisch auch keinen Gott im christlichen Sinne.[5]
Die gegenwärtige „große Geschichte“ unserer Gesellschaft ist also im strengsten Sinne keine, sondern der Konsens, dass alles beliebig und ziellos ist… Allerdings „funktionieren“ wir Menschen „designbedingt“ anders: Gott hat uns geschaffen, um in der Geschichte, in Raum und Zeit mit ihm und für ihn zu leben, denn
„Im Anfang (Zeit) schuf Gott den Himmel und die Erde (Raum und Geschöpfe).“
Gen 1,1
Das Auseinanderreißen dieser beiden Grundpfeiler für unser Leben streicht nicht, wie wir grundsätzlich funktionieren. Es verkehrt aber unsere Orientierungspunkte. Quasi ohne Karte trudeln wir durch Gottes Schöpfung und müssen uns selbst einen Reim auf alles machen, schauen, wie wir unser Leben bewältigen. Unser letztgültiger Orientierungspunkt bleiben dann wir selbst. Diesen verkehrten, im wahrsten Sinne des Wortes „Gott-losen“ Zustand und die mit ihm einhergehenden Taten nennen wir dann „Sünde“ mit ihren zerstörerischen Konsequenzen für alle Bereiche des Lebens. Ohne Gottes offenbarendes Reden und Handeln müssen wir Menschen uns selbst eine neue „große Geschichte“ ausdenken. Die meisten Filme vermitteln uns Aspekte dieser Erzählung, wie wir etwa an Forrest Gump sehen können.
Filme erzählen eine Geschichte – aber die Bibel auch!
Francis Schaeffer hat in Wie können wir denn leben? prägnant erläutert, welchen einzigartigen Einfluss Filme auf die Beantwortung unserer großen Fragen nehmen.[6] Waren es früher mündlich, dann schriftlich überlieferte Geschichten, mit denen wir die Antworten auf die großen Fragen erzählten, wurde es im 20. Jahrhundert zunehmend bis ausschließlich das bewegte Bild: Ein Filmplakat auf dem „Marvel“ steht, ist ein Garant für reges Interesse. Der vorliegende Artikel trotz seines brisanten Themas eher eine Nischenangelegenheit.
Kultur und damit auch Filme als Produkt unseres kulturellen Schaffens erzählen eine Geschichte, ausnahmslos, immer. Egal, ob es sich um eine (langweilige/interessante) Dokumentation über das sich wetterbedingt ändernde Sozialverhalten von Ameisenbären oder einen (schier unendlich hinziehenden) Monumentalfilm der 50er Jahre handelt: wir wollen Geschichten erzählt bekommen, um die Welt zu erschließen und zu verstehen. Nicht ohne Grund beginnt die Bibel damit, uns zu erzählen, was Gott als Schöpfer getan hat, wie Er Seine Welt ins Dasein gerufen hat. Sie führt uns durch die Geschichte Israels, des Volkes, dem gegenüber sich Gott in besonderer Weise offenbart hat. Abschließend gipfelt diese besondere Offenbarung Gottes in endgültiger Weise in der Person Jesu Christi; seinem Leben, Wirken, Sterben, seiner Auferstehung und seiner vorausgesagten Wiederkunft und ewigen Herrschaft. Kurzum: die Bibel erzählt eine zusammenhängende, große Geschichte mit unanfechtbarem Wahrheitsanspruch. Oft genug steht unsere „große Geschichte“ im Widerspruch zu der Gottes, wie Er sie in der Bibel offenbart hat. Hier setzt ein christliches Verständnis von Filmen (und wahrscheinlich Kunst im Allgemeinen) an.
Filme verlangen nach einer Antwort von uns – der Geschichte Jesu Christi!
Die Evangelien vermitteln uns nicht lehrsatzmäßig die elementarsten Wahrheiten der Guten Nachricht[7], sondern berichten erzählend von Leben und Lehre Jesu. Sein Leben, Er selbst, ist das Zentrum von Gottes Plan und Handeln mit der Welt. Bereits der Beginn jedes neutestamentlichen Evangeliums macht uns das deutlich. Denn stets steht die Person Jesu im Vordergrund. Matthäus, Markus, Lukas und Johannes wollen Ihn zeigen, Sein Leben bezeugen und in alldem ihre Leser zu Ihm führen, indem sie Seine Geschichte erzählen. Die Geschichte des Evangeliums verlangt von uns, dass wir Stellung beziehen: Ist es unsere, meine und deine Geschichte, weil wir den Hauptakteur, Gott offenbart in Jesus Christus, lieben? Oder geben wir uns mit einer Ersatz-Geschichte („-ismen“, „-ien“ oder einfach nur „es geht um MICH, denn ICH bin WICHTIG“) zufrieden? Normalerweise erzählen uns Filme im Großen und Ganzen Ersatz-Geschichten. Versteh mich nicht falsch – ein Ersatz mag viel Gutes enthalten, aber er kommt eben nicht an das Original heran. Wenn das Entscheidendste fehlt, kann er auf Dauer schädlich, wenn nicht gar tödlich sein.[8] Genauso verhält es sich mit dem Evangelium, der Geschichte Jesu: Da es von Ihm handelt und jeder Teil deutlich macht, dass Er der Held ist.
Helden und Vorbilder sind wichtig; darum mögen wir Marvel-Filme. An ihnen kann man sehen, dass der Einsatz für andere beispielsweise etwas Wertvolles und Notwendiges ist. Doch sie haben auch ihre Schattenseiten. Darum kann unser letztendliches, größtes Vorbild und unser Erlöser nicht Batman sein. Seine Geschichte ist im Kern eine von Selbstjustiz, einer Welt ohne letztes Gericht.[9] Wenn wir uns an diese Geschichten gewöhnen, dann wünschen wir uns so jemanden, der „mal richtig austeilt“. Doch Jesu Lebensgeschichte ist eine andere, denn Gottes Held kämpft anders. Er vernichtet Seine Feinde nicht, sondern stirbt für sie. Etwas, das Batman nicht tun würde; eine andere Geschichte eben.
In welche Geschichte reihst du dich ein?
Forrest Gumps Lebensgeschichte ist Teil einer größeren Erzählung: wer sich selbst treu ist, immer mit dem Besten rechnet, stets zu allen freundlich ist und sich genug anstrengt, der kann alles erreichen. Dazu braucht es lediglich Selbstvertrauen. Jeder kann sich selbst ein Held sein.
Die Geschichte Jesu ist eine andere: Er war als einziger Gott gegenüber treu, war und ist als einziger gut, allein wirklich gütig und in der scheinbaren Niederlage des Todes Sieger. Wer Ihm vertraut, muss nichts mehr aus sich selbst erreichen. Doch dazu braucht es Glauben – Glauben an Jesus. Das Evangelium erzählt eine Geschichte, in der wir nicht die Helden sind, aber auch nicht sein müssen. Denn wir dürfen zum Helden gehören.
Im nächsten Artikel dieser Reihe werden wir uns ansehen, WIE wir nun konkret Filme schauen, uns an ihnen erfreuen, von ihnen sogar profitieren, aber auch gleichzeitig sündhafte Aspekte an ihnen erkennen und zurückweisen können. Bleib dran, um praktisch zu lernen, wie wir mit der Geschichte Jesu, dem Evangelium, antworten.
[1] Ausführlich haben sich damit in Buchform John Piper und David Platt auseinandergesetzt.
[2] Vgl. Lessings berühmtes Zitat vom „garstigen Graben“.
[3] Kant führt das in seinen drei „Kritiken“ aus.
[4] Üblicherweise wird Sinn nicht gemacht (wie auch?), sondern etwas hat (innewohnend) einen inneren Sinn oder er wird gestiftet (von außen).
[5] Gott als unendlicher, persönlicher Schöpfer und Herrscher der Welt.
[6] „Vor allem in den 1960er Jahren wurden die entscheidenden und auf breiter Front einflussreichen philosophischen Aussagen in Filmen getroffen. Diese philosophischen Filme erreichten sehr viel mehr Menschen als philosophische Schriften oder die Malerei und Literatur es geschafft hätten“, Wie können wir denn leben? Aufstieg und Niedergang der westlichen Kultur, 4. Aufl., Oerlinghausen 2020, 168-169; es gibt sonst kein Buch, das aus christlicher Sicht einen so prägnanten wie auch gut lesbaren Überblick über die westliche Geistesgeschichte bietet.
[7] Wie etwa im Vergleich das außer-, wenn auch betont nicht unbiblische Apostolikum. Mit seinem Verweis auf Person und Amtszeit von Pontius Pilatus macht es überdeutlich, dass Gott sich datier- und nicht „fühlbar“ in Jesus Christus offenbart hat.
[8] Nicht ohne Grund bezeugt Jesus von sich selbst: „ICH bin die Auferstehung und das Leben“ (Joh 11,25a)
[9] Ein Thema, über das Jesus ausgiebig gesprochen hat (vgl. etwa Mt 25,31-46). Auch das dicht erzählte, biblische Buch der Offenbarung handelt in weiten Teilen davon.