Für verfolgte Christen beten – aber wie?

von Jonathan Malisi
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Laut Open Doors werden heutzutage so viele Christen wie noch nie verfolgt (200 Millionen weltweit, das entspricht der 2,5-fachen Bevölkerung Deutschlands)[1]. Schon die ersten Christen mussten erinnert und ermutigt werden, an Verfolgte zu denken:

„Denkt an die Gefangenen, als wärt ihr Mitgefangene, und an die Misshandelten, weil ihr auch noch im Leibe lebt.“

Heb 13,3

Wenn wir heutzutage überhaupt noch zum Beten kommen, dann fangen wir oft mit einem schlechten Gewissen an und wissen oft nicht einmal, wie wir genau beginnen sollen und was es außer „Bitte Jesus, bewahre ihren Glauben“ an konkreten Anliegen verfolgter Christen gibt. Kurzum: Wir haben Nachholbedarf.
Das biblische Vorbild Nehemias hat mir persönlich geholfen, von dessen liebevollen Haltung und seiner gesunden Sicht auf die aktuellen Bedürfnisse seiner Glaubensgeschwister zu lernen: Denn es demütigt, ermutigt, verändert und zeigt uns gleichzeitig vor allem Jesus als den größten Fürsprecher der Gemeinde! Allerdings ist Nehemias Gebet kein 5-Punkte-Plan, sondern es gibt uns wertvolle Orientierungspunkte, die dir helfen können, wenn du tatsächlich lernen willst mit Gottes Volk zu leiden. Zwar muss sich dein Gebet für verfolgte Christen nicht auf die hier genannten Punkte beschränken oder immer alle umfassen. Doch sie können dir helfen, diese Art von Fürbitte für die Gemeinde Jesu leichter in deinen Gebetsalltag zu integrieren.

Erkenne deine Sünde

Wenn Menschen in der Bibel dem lebendigen Gott begegnen, Seine Nähe suchen und vor Ihn treten, dann erschrecken sie, ja schreien sogar angesichts ihrer Sünde. Nehemias tiefgreifende Erkenntnis und Leid über den desolaten Zustand Jerusalems wird für uns in seinem Weinen und tagelangen Trauern (V.4) sichtbar. Stell dir mal vor, dieser hochgeachtete, einflussreiche Mann (nichts Anderes bringt es mit sich, wenn man „Mundschenk des Königs“ ist; vgl. V.11) sitzt – gefühlt ewig – in seinem Haus, weint den ganzen Tag über irgendeine abgebrannte Stadt, isst fast nicht und betet den ganzen Tag zu dem Gott, der behauptet, Israels Exil wäre seine Strafe für ihren Ungehorsam. So oder so ähnlich dürfte das vielleicht auf Nehemias ungläubige Umgebung gewirkt haben. Aber Nehemia weiß um die Dramatik dessen, wenn Gottes Stadt schutzlos brachliegt.

Unsere Sünde zu erkennen, heißt im Grunde, einen leider sehr elementaren Teil von uns selbst zu erkennen. Als Folge dieser Selbsterkenntnis fastet und betet Nehemia (V.4). Beides sind nicht bloße Praktiken, die uns zu besseren Menschen machen. Sie drücken vielmehr die innere Haltung Nehemias aus und zeigen, dass er sich im Angesicht der niederschmetternden Konsequenzen der Sünde des Volkes ganz auf Gott ausrichtet. Das kann ein Weg sein, um durch das Beiseitelassen von tatsächlichen oder vermeintlichen Bedürfnissen Gott in unserem Leben den Raum zu geben, der ihm zusteht.

Bete Gott an

An Nehemia kannst du sehen, dass Beten mehr bedeutet, als irgendeine unsichtbare Macht um die Erfüllung unserer persönlichsten Wünsche zu bitten. Beten heißt, zum wahren König zu kommen: Denn der Gott, zu dem du bittest, ist nicht nur König über Persien, deine Gemeinde oder Israel. Nein, Er herrscht über das Universum, Er lenkt es, Er ist der „Gott des Himmels“, Er ist groß und furchtbar“ (V.5). Der Gott, zu dem wir beten, ist keine ungelernte Aushilfe – Er ist Majestät von Ewigkeit her.

Deshalb kann Anbetung auch ganz schlicht damit beginnen, dass wir über Seine Größe staunen, weil sie uns erst so richtig bewusst wird. Bete den König an, der Sein Volk nicht vergisst. Bevor Nehemia sich an Artahsasta, den Herrscher Persiens, oder irgendeinen anderen Menschen wendet (Neh 2), lobt und preist er den ewigen König, dem Artasahsta seine Herrschaft zu verdanken hat.

Bitte für Verfolgte

Dass Nehemia für Jerusalem, seine Glaubensgeschwister bittet (V.6a+10), die dort leben, ist nicht selbstverständlich. Er selbst erleidet nämlich keinerlei Verfolgung oder Unterdrückung. Denn Nehemia ist „Mundschenk des Königs“ (V.11), was bedeutet, dass er am Hof ein komfortables und finanziell abgesichertes Leben führen kann: Die Mauer um sein Grundstück ist sicher nicht „niedergerissen“ und die Eingangstür zu seinem Haus garantiert nicht „mit Feuer verbrannt“ (V.3). Nehemia geht es gut. Und trotzdem macht er das Leid der Jerusalemer zu seinem (V.4).
Heutzutage sagen selbst wir Christen häufig etwas wie „Ich brauche oder will kein Mitleid!“. Das ist eine unbiblische Haltung, denn Verse wie Heb 13,3 rufen uns genau dazu auf. Wenn wir mitleiden, dann machen wir das Leid und die Last anderer zu unserer und sind traurig, weil sie traurig sind. Mitleid und Fürbitte im eigentlichen Sinne fordern mehr von uns als bloße Solidarität. Wenn andere Christen leiden, sollen auch wir leiden, da wir Glieder am selben Leib Jesu sind (1Kor 12,26).
Ebenso benennt er die Personen, für welche er betet, konkret, denn Gott möchte keine „All-die-…“-Gebete von uns hören, in denen wir vage für irgendwen, irgendwo beten. Viel zu oft sehen unsere Gebete genau so aus: Wir beten für „all die verfolgten Christen“, dass Gott ihnen „all das“ gibt, was sie brauchen. Ich bin mir sicher, Gott wird „all diese“ Gebete erhören und tun, was Seinem Willen entspricht; aber mal Hand aufs Herz: Würdest du dir in größter Not wünschen, dass andere dein Leid so nebenbei-unspezifisch vor Gott bringen, um dann zum nächsten Tagespunkt kommen zu können?

Wie kann also konkretes Gebet für unsere verfolgten Geschwister aussehen? Auf den Seiten der Hilfsaktion Märtyrerkirche oder von Open Doors findest du länderspezifische Anliegen, zum Teil von einzelnen Personen: Vielleicht ist es ein erster Schritt, wenn du einmal pro Woche einige Minuten lang für verfolgte Christen in einem bestimmten Land betest?

Bekenne Sünde

Eigene Sünden zu bekennen kostet oft wesentlich mehr Mut und fordert mehr Ehrlichkeit von uns ein, als die anderer zu benennen und darüber zu schimpfen. Nehemia bekennt seine eigene Sünde und die Sünde der Personen, für die er verantwortlich ist. Doch selbst danach, schließt er sich weiterhin mit ein („wir“; V.6b+7), wenn er die Sünden des Volkes bekennt. Lerne von Nehemia, indem du Jesus bekennst, wo du zu wenig für Seine (verfolgte) Gemeinde gebetet hast; wenn Menschen wie Nehemia den wahren, heiligen Gott anbeten, dann folgt aus dem Erkennen das Bekennen unserer Sünde.

Manchmal neigen wir dazu, verfolgte Christen zu heroisieren. Eine Frau aus meiner Gemeinde, die selbst in der Sowjetunion Verfolgung erlitten hat, meint dazu: „Wir waren keine Helden.“ Das Folgende soll nicht überheblich klingen, aber es ist Realität: Auch verfolgte Christen bleiben Menschen, die weiterhin sündigen. Auch sie brauchen Veränderung und Korrektur durch Gottes Geist. Bitte ihn also, dass er sie vor Hass, Zorn oder anderen Sünden bewahrt und sie stattdessen in ihrem Leid heiliger, Jesus ähnlicher werden lässt. Bitte unseren Vater, dass er sie ihre Sünden und immer wieder neu Seine Vergebung erkennen lässt. Das brauchen wir, das brauchen sie – ja, es ist das, was uns zu Christen macht.

Berufe dich auf Gottes Verheißungen

Nehemias Bitte richtet sich nicht in einem luftleeren Raum an den absoluten, unnahbaren Weltherrscher. Er spricht zum dem unendlich großen Schöpfer, der sich Seinem Volk gezeigt hat. Faszinierend ist doch dann vor allem, dass Nehemias Bitte an Gott nichts ist, was Gottes Wesen fremd wäre. Ganz im Gegenteil. Er beruft sich schlussendlich nicht auf irgendeine Eigenschaft oder irgendein beliebiges Ereignis aus der Geschichte Israels, sondern auf ebenjenes, das für die Identität und den Weg des Volkes grundlegend war: den Auszug aus Ägypten. Von den vielen Ereignissen des Alten Testaments, die uns einen Vorgeschmack auf das Evangelium geben, sticht eins besonders heraus: die Rettung, die Gott Seinem Volk geschenkt hatte, um es in Sein Land zu bringen, damit es als Sein Volk dort leben würde. Gott hatte sein Volk mit „großer Kraft“ und „mächtiger Hand“ (V.10) aus Ägypten befreit. Was Er tut, das hängt mit Seinem Wesen zusammen. Er hatte mit Israel einen Bund geschlossen (V.7+8) und es wie einen Sohn angenommen. Sollte das Volk Seine Heiligkeit vergessen, Seine Großzügigkeit, die es genießen und erfahren durfte, dann musste es auf lange Sicht mit dem Entzug Seiner segnenden Gegenwart rechnen.

Wenn wir uns im Gebet auf Gottes Verheißungen berufen, dann bedeutet das nicht, dass wir ihn erinnern müssen, sondern es hilft uns, Ihn klarer zu sehen: Seine Verheißungen zeigen uns, dass Gott bereits eine Geschichte mit Seinem Volk geschrieben hat. Er hat sich Seinem Volk offenbart. Er war damals heilig, gerecht und gnädig und er wird es bis in alle Ewigkeit sein. Er wird sich nicht ändern. Das ist die Perspektive, die wir im Gebet lernen sollen, die Zuversicht, von der wir leben sollen, die verfolgte Christen tröstet und durch die Gott Seine Größe offenbar macht. Bitte Gott für Seine erlöste Gemeinde, für die Menschen, die im Hier und Jetzt schon Seine Kinder sind und wissen, dass Gott für Gerechtigkeit sorgen wird (2Pt3,13-14).

Begreife deine Begrenztheit

Nehemia wirkt hier wie ein großartiger Held auf uns: Die folgenden Kapitel zeigen, wie sehr er Gottes Volk liebte, sich für die Stadt Gottes einbrachte, sein Leben riskierte, sein Privatvermögen großzügig einsetzte, … Aber er kennt sich selbst nur zu gut. Er weiß zum einen um seine Schwächen, bösen Angewohnheiten, Sünden: Er ist kein perfekter, ununterbrochen erfolgreicher 1A-Gläubiger, der von Gott etwas einfordern dürfte und dem kein Mensch etwas ausschlagen kann. Zum anderen ist auch Nehemia irgendwann gestorben. Was er getan hat, diente vielen tausend Menschen zum Segen. Gott gebrauchte ihn, um dieser Welt einen Einblick in Sein unverdient gnädiges Handeln gewähren. Dennoch konnte Nehemia sich nicht ewig für die Israeliten einsetzen. Er war definitiv ein Fürsprecher; ein besonderer, ein liebevoller, aber eben ein menschlich-begrenzter.

Möglicherweise betest du, dass Gott das Leid der Christen in einem bestimmten Land lindert und tatsächlich wird es schlimmer. Hast du also falsch oder nicht genug gebetet? Sicher nicht. Aber Gott führt Seinen Plan oft genug anders aus als wir es erwarten. Vielleicht fehlt uns genau das heutzutage viel zu oft: Das wir ganz praktisch lernen, erfahren und begreifen, dass Gott Sein Volk regiert, wie es Seinem Ratschluss entspricht. Unsere Herausforderung bleibt, als Seine Kinder vor diesem unendlichen Gott zu leben und ihn zu lieben. Auch und gerade, wenn wir ihn nicht verstehen und unsere Grenzen erfahren.

Danke Gott für unseren Fürsprecher

Heutzutage kann Gottes Volk auf einen Fürsprecher schauen, der sich bis in Ewigkeit für Seine Gemeinde einsetzt. Jesus steht ungleich besser als Nehemia Tag und Nacht vor Gottes Thron, bittet für Sein Volk und ist tatsächlich der Einzige, der das darf, kann und will. Er tut das nicht erst seit Seiner Himmelfahrt, sondern hat bereits während Seines Lebens auf der Erde für Seine Jünger – Petrus, Jakobus, dich und mich – gebetet (vgl. etwa Joh 10)! Lerne von Nehemia, aber vor allem: Staune über Jesus, danke Ihm und lerne von Ihm. Bring deine Anliegen nicht zu Nehemia, sondern zu Jesus. Liebe den Fürsprecher und Beter, der Jerusalems Tore nicht nur repariert, sondern vor ihnen für unsere Schuld gelitten hat, ihn, der das Gebet Seiner Gemeinde Tag und Nacht hört und der das neue, bessere und ewige Jerusalem bringen wird (Off 21,1-5).


[1] https://www.opendoors.de/christenverfolgung/christenverfolgung-erklaert; abgerufen am 20.11.2019.

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