Gottes Ruhe für unsere Herzen

von Clemens Depner
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In einer Kultur der Geschwindigkeit

Vor etwa 200 Jahren gab die Pariser Wissenschaftsakademie ein alarmierendes Gutachten heraus. In England wurde die erste Eisenbahnstrecke fertiggestellt und man wartete nun auf ihre Zulassung. Als Begutachter des Antrags warnte die Wissenschaftsakademie vor der hohen Geschwindigkeit der Eisenbahn: sie könne bei Passagieren Gehirnschäden verursachen. Immerhin bewegte sie sich mit sage und schreibe … 30 km/h fort.

Was damals als rapide Geschwindigkeit galt, wird heute in der 30er Zone regelmäßig als zu langsam beschimpft. Zwei Jahrhunderte nach diesem Gutachten fliegen wir tiefenentspannt mit 900 Stundenkilometern durch die Luft. Dass dies nur eines von etlichen Beispielen dafür ist, dass wir in einer Zeit der Rasanz leben, sollte klar sein. Wir leben mehr denn je in einer „Jetzt-Kultur“, die unermüdliche Produktivität zu bieten hat, aber – und das ist der Knackpunkt – auch fordert. Und es wäre schlichtweg naiv, anzunehmen, dass MICH dieser Zeitgeist nicht auch beeinflussen würde.

Die „Jetzt-Kultur“ hat zwei Töchter: die Ungeduld und die Unruhe. Da zu beiden viel zu sagen wäre, beschränke ich mich hier auf die Unruhe. Genau genommen geht es mir um eine bestimmte Art der Unruhe. Ich spreche über die Unruhe, die wir uns – unnötigerweise – selber machen. Es ist die Art von Unruhe, die du verspürst, wenn du mal nichts zu tun hast und einfach dasitzen könntest… aber dir stattdessen doch wieder eine Beschäftigung suchst.

Ruhig im Zimmer sitzen? Unmöglich!

Blaise Pascal (1623-1662) – der renommierte Physiker und Mathematiker – setzte sich auch regelmäßig mit theologischen Fragen auseinander. In seinen Gedanken stellte er folgende Beobachtung an:

Wenn ich mich zuweilen damit beschäftigt habe, die vielgestaltige Unrast der Menschen zu betrachten, […] habe ich gemerkt, daß das ganze Unglück der Menschen aus einer einzigen Ursache kommt: nicht ruhig in einem Zimmer bleiben zu können.

Wann hast du dir das letzte Mal die Zeit genommen, einfach mal eine halbe Stunde dazusitzen und zu ruhen? Ohne Handy, ohne Musik oder sonst was, einfach nur du und dein Vater im Himmel. Pascals Aussage ist scharf, aber treffend. Wie ich eingangs dargelegt habe, verorten wir den Grund unserer Unrast oft in kulturellen Entwicklungen oder auch Gegenständen. In unserer „Jetzt-Kultur“ erhalten wir zwar einerseits alles auf Knopfdruck; wir müssen aber auch selber auf Knopfdruck verfügbar sein. Diese Mentalität drückt sich vielleicht am besten im Umgang mit unserem Smartphone aus.

Das Smartphone ist für viele heutzutage fast schon zu einem Extra-Körperteil geworden. Es ist ständig an uns und wir sind ständig an ihm. Indem wir WhatsApp, Instagram, News-Apps, etc. regelmäßig checken, sind wir zwar immer auf dem neusten Stand, gleichzeitig führt dies aber dazu, dass wir nie wirklich offline sein können. So kann es schnell passieren, dass sich unsere Gedanken im Alltag um alles drehen, nur nicht um das, was wir gerade in diesem Moment tun (sollten).

Erik Raymond schreibt dazu passend in seinem Buch Chasing Contentment:

Es scheint, dass innerhalb weniger Jahrzehnte der technologischen Entwicklung viele kaum noch in der Lage sind, sich lange mit den gewöhnlichen Aufgaben des Lebens zu beschäftigen, ohne auf ihr Smartphone zu schauen. Es ist, als würden wir sagen: „Ich habe gelernt, in jeder Situation, in der ich mich befinde, unzufrieden zu sein.“

Raymonds Worte warnen uns vor der Gefahr, die Worte des Apostel Paulus in Philliper 4,11 zu verdrehen. Paulus sagte nämlich: „Ich habe gelernt, mit dem zufrieden zu sein, was ich habe.“ Würde diese Aussage der Grundsatz für unseren Umgang mit unserem Smartphone und speziell mit den sozialen Medien sein, hätten wir schon viel gewonnen.

Die Wurzel des Problems

Dass Pascal so eine treffende Beobachtung zur Unruhe des Menschen bereits vor hunderten von Jahren festgehalten hat, zeigt uns, dass die Dinge, die uns heute zur Unruhe treiben letztendlich nicht die ultimative Wurzel der Unruhe sind. Denn offensichtlich fiel es bereits dem Menschen im 16. Jahrhundert schwer, alleine in seinem Zimmer zu sitzen. Auch der Kirchenvater Augustinus (354-430) macht mit seinem wohl bekanntesten Satz deutlich, dass Unruhe nicht erst in unserer „Jetzt-Kultur“ ins Leben der Menschen trat. In seinen Bekenntnissen schrieb er: „Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“ Unruhe tritt nicht einfach von außen an uns heran, vielmehr sitzt sie tief in unserem Herzen. Es lohnt sich, bei diesem Zitat kurz stehen zu bleiben und drei Beobachtungen festzuhalten:

  1. Augustinus macht deutlich, dass jeder Mensch auf Gott hin gepolt ist. In anderen Worten: in uns ist ein Verlangen, vollkommene Erfüllung zu haben, und diese finden wir allein bei Gott.
  2. Der zweite Teil des Zitats macht allerdings deutlich, dass etwas nicht so ist, wie es sein sollte. Durch den Sündenfall bleibt zwar unser Verlangen nach wahrer Erfüllung bestehen. Der Gedanke, dass wir diese Erfüllung allein bei Gott finden, ist dem Menschen aber nun fremd. Das führt uns wiederum auf eine hoffnungslose Suche nach Glück. Darum ist die Standard-Einstellung des Menschen Unruhe. Unruhe liegt im Menschen so tief, wie es die Sünde tut. Denn mit der Sünde kam Unruhe. Die Wurzel der Unruhe in unserem Leben ist letztendlich unser erlösungsbedürftiges Herz.
  3. Augustinus deutet jedoch auch auf eine Wiederherstellung der Beziehung zwischen Gott und Mensch hin. Das unruhige Herz des Menschen wird eines Tages wieder zur Ruhe finden. Das ist letztendlich nichts anderes als das Evangelium. Und bereits hier sehen wir: Ruhe im christlichen Sinne ist aufs Engste mit dem Evangelium, mit Erlösung verbunden.

Auch wenn Unruhe und Sünde nicht identisch sind, laufen sie in der Bibel doch oft parallel. Dasselbe gilt für Ruhe und Erlösung. Eine Bibelstelle, in der das deutlich wird, ist Hebräer 4,1-13. Es lohnt sich, diesen Bibeltext an dieser Stelle mal aufzuschlagen und zu lesen.

In die Ruhe eingehen

Ein Blick in den Text

Fangen wir mal ganz hinten an. Die Verse 12-13 sind vielen Christen wohlbekannt. Sie werden regelmäßig herangezogen, um die kraftvolle Wirkung von Gottes Wort zu beteuern. Und das ist auch vollkommen richtig so. Allerdings werden diese Verse selten mit dem vorangehenden Text in Verbindung gebracht, obwohl das anfängliche „Denn“ eigentlich dazu aufruft. Betrachtet man den Kontext, dann lassen sich zwei ganz spezifische „Worte Gottes“ finden; eine Verheißung und ein Fluch:

  • Die Verheißung sagt, dass, wer auf Gott vertraut, in Gottes Ruhe eingehen wird (V. 3)
  • Der Fluch bezieht sich auf die ungläubigen Israeliten während der Wüstenwanderung und ist ein Zitat aus Psalm 95: „Sie sollen nicht zu meiner Ruhe kommen“ (V. 5).

Verheißung und Fluch sind beide „lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert“ (V. 12), da sie aus Gottes Mund stammen. Die Verheißung schenkt Hoffnung, während der Fluch eine Warnung für den Gläubigen ist. Verheißung und Fluch münden schließlich in der Aufforderung, das Herz nicht zu verhärten, sondern stattdessen sein Vertrauen voll auf Gott zu setzen. Die Ernsthaftigkeit wird dadurch untermauert, dass der Autor den Abschnitt mit einer Warnung beginnt als auch beendet. V. 1: „So lasst uns nun mit Furcht darauf achten, dass keiner von euch etwa zurückbleibe…“. Und V. 11: „So lasst uns nun bemüht sein, zu dieser Ruhe zu kommen, damit nicht jemand zu Fall komme durch den gleichen Ungehorsam.“

Bemühung um göttliche Ruhe

Der Autor fängt in seiner Argumentation beim Volk Israel in der Wüste an. Obwohl sie Gottes wunderbare Errettung aus der ägyptischen Sklaverei sowie seine gnädige Erhaltung in der Wüste erlebt hatten, wendeten sie sich von Gott ab und wünschten sich stattdessen, wieder in Ägypten zu sein. In anderen Worten: sie wollten Gottes Gnade, Liebe, Erlösung und Versprechen von Ruhe durch Sklaverei und stetige Rastlosigkeit ersetzen. Sie wollten ihre Identität als Volk Gottes wieder von sich weisen und stattdessen ihre dreckige Identität als Sklaven annehmen.

Um die Bedeutung dieser Herzenshaltung für die Beziehung zwischen Gott und dem Volk Israel zu herauszustellen, zieht der Autor nun David heran, der diese Geschichte in Psalm 95 reflektiert. Der Psalm endet mit dem Fluch, der uns bereits begegnet ist: „Sie sollen nicht zu meiner Ruhe kommen (Psalm 95,11). Nebst diesem abschreckenden Fluch befindet sich aber auch ein hoffnungsvolles „Heute“ in dem Psalm. Dieses „Heute“ scheint auch dem Hebräerbriefschreiber wichtig gewesen zu sein, denn er übernimmt es und stellt heraus, dass das „Heute“, von dem David spricht, immer noch aktuell ist: „Es ist also noch eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes“ (V. 9).

Auch heute gilt Davids „Heute“ noch. Auch wir warten noch hoffnungsvoll darauf, in die Ruhe Gottes einzugehen. Wir sehnen uns danach, ins vollkommene Himmelreich Jesu einzutreten. Der Hebräerbriefautor weist darauf hin, dass die Werke „von Anbeginn der Welt“ fertig waren (V.3). Gott ruhte am siebten Tag. Eden war ein Ort der Ruhe. Unsere Hoffnung ist es, einst ebenfalls in einem Garten anzukommen, mit einem

Strom lebendigen Wassers, klar wie Kristall, der ausgeht von dem Thron Gottes und des Lammes; mitten auf dem Platz und auf beiden Seiten des Stromes Bäume des Lebens, die tragen zwölfmal Früchte, jeden Monat bringen sie ihre Frucht, und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker. Und es wird nichts Verfluchtes mehr sein (Offenbarung 22,1-3a).

Gottes Ruhe für unsere Herzen

Gottes Vision der Ruhe sieht für uns vor, am Ende der Zeit wieder in eine perfekte Gemeinschaft mit ihm zu treten. Aber auch schon jetzt hat sie die Kraft, an verschiedenen Stellen unseres Lebens, Veränderung zu schaffen. Wie wäre es zum Beispiel mit dem Thema Identität? Woraus ziehst du deine Identität? Leistung, Fähigkeiten, Zugehörigkeit, äußeres Erscheinungsbild – dies ist nur eine Auswahl von Bereichen, aus denen wir unsere Identität oder unseren Wert als Person ziehen. Und bis zu einem gewissen Grad ist das auch nicht zu vermeiden. Dennoch müssen all diese Kategorien Platz machen, wenn es die Bibel ist, die deine Identität letztendlich bestimmt.

Denn Gottes Wort macht unmissverständlich deutlich, dass unsere Identität im tiefsten nicht in uns zu finden ist, sondern in ihm. „Nun waren ja die Werke von Anbeginn der Welt fertig“ schreibt der Hebräerbriefschreiber in Kap. 4,3. Der Mensch wird geschaffen und am nächsten Tag sind schon alle Werke fertig. Das bedeutet, dass wir in erster Linie nicht dazu geschaffen wurden, Leistung zu bringen, sondern Gottes vollkommenes Werk zu bestaunen und es gemeinsam mit ihm zu genießen. Dass Gott am siebten Tag ruhte, bedeutet nicht, dass er müde war; immerhin ist er allmächtig. Es bedeutet vielmehr, dass er seine sehr gute Schöpfung genießt und sich an ihr erfreut. 2. Mose 31,17 spricht davon, dass Gott sich am siebten Tag „erquickte“. Und der Mensch durfte daran teilhaben; ohne etwas beisteuern oder leisten zu müssen.

Und doch sündigte der Mensch. Nachdem Adam und Eva von der Frucht aßen, suchte Gott nach ihnen. Ihre Reaktion? Sie verstecken sich. Der Grund, den Adam nennt, ist interessanterweise nicht, dass sie gegen Gottes Gebot verstoßen haben, sondern, dass sie nackt sind (1. Mose 3,10). In anderen Worten war ihr Gedanke: so können wir nicht vor Gott treten. Wir müssen uns mit Blättern Kleidung machen und müssen uns Gott würdig herrichten. Wir müssen etwas machen, damit wir in Gottes Augen für Gut erachtet werden.

Die Illusion der Werk­gerechtigkeit

Diese Lüge, hat bis heute überlebt. WIR müssen tun, WIR müssen leisten. Werkgerechtigkeit tritt dann auf, wenn wir auf einmal nicht mehr auf Gottes vollkommenes Werk schauen, sondern uns für so wichtig halten, dass wir meinen, wir könnten unseren Stand vor Gott bestimmen. Und das tun wir selbst als Christen noch immer wieder. Gott konnte nach der Schöpfung sagen: Es ist vollbracht. Christus hat am Kreuz der neuen Schöpfung den Anfang gegeben, als er sagte: Es ist vollbracht. In 2. Korinther 5,17 lesen wir: „Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ Das ist es, was unsere Identität ausmacht.

Wir sind in Christus eine neue Kreatur und müssen uns nicht mehr darum sorgen, was andere Menschen von uns denken, wir müssen nicht mehr dafür leben, von anderen Menschen angenommen zu werden. Wir sind angenommen von dem Höchsten, dem Größten, dem Herrlichsten: von Gott höchstpersönlich. Und er nennt uns sein Kind. Diese Identität kann uns zur Ruhe bringen. Und unsere rastlose Suche nach Erfüllung und Bedeutung zu einem Ende führen. Das ist eine felsenfeste Identität. Denn sie ist nicht in uns, sondern in Gottes Treue verankert.

Interessanterweise folgt auf Hebräer 4,1-13 die Zusage, dass Jesus der wahre Hohepriester ist. In V. 16 lesen wir: „Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.“ Als Kinder Gottes dürfen wir schon jetzt vor Gottes Thron treten und uns sicher sein, dass wir von ihm Hilfe empfangen, die in unserem Leben für Ruhe sorgen kann. Gleichzeitig wissen wir aber, dass die Vollendung von Gottes Reich noch aussteht.

Auch wenn wir selbstverursachte Unruhe eindämmen können, werden Tod, Krankheit, Verluste, Unterdrückung und ähnliche schlimme Dinge Unrast in unserem Leben bewirken. Stellen wie Offenbarung 22 erscheinen in solchen schweren Zeiten wie Sonnenstrahlen zwischen dunklen Wolken. Doch eines Tages werden die Wolken endgültig vergehen und die Sonne wird in ihrer Schönheit strahlen. „Siehe ich mache alles neu“, sagt unser Herr. Er wird uns in ein neues und besseres Eden führen. Und bis dahin können wir nur beten: „Amen, ja, komm, Herr Jesus!“

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