„Ihr Sklaven, gehorcht euren irdischen Herren mit Furcht und Zittern, in Einfalt eures Herzens, als dem Christus; nicht mit Augendienerei, als Menschengefällige, sondern als Sklaven Christi, indem ihr den Willen Gottes von Herzen tut! Dient mit Gutwilligkeit als dem Herrn und nicht den Menschen! Ihr wisst doch, dass jeder, der Gutes tut, dies vom Herrn empfangen wird, er sei Sklave oder Freier. Und ihr Herren, tut dasselbe ihnen gegenüber, und lasst das Drohen, da ihr wisst, dass sowohl ihr als auch euer Herr in den Himmeln ist und dass es bei ihm kein Ansehen der Person gibt.“
Eph 6,5-9
Bist du schon einmal mit solchen Versen aus der Bibel konfrontiert worden? Oder wusstest du gar nicht, dass sie in der Bibel stehen? Sogar im NT, das sogar unter Christen manchmal den Ruf hat, ein „netteres“ Gottesbild als das AT zu vermitteln? Wenn du nun hören würdest „Ihr Christen und euer Gott relativiert und verharmlost damit Sklaverei!“ – was wäre deine Reaktion und Antwort?[1]
Viel zu oft vergessen wir oder wissen es heutzutage schon gar nicht mehr, dass die ersten Menschen in unserem westlichen Kulturkreis, die sich für eine Abschaffung der Sklaverei einsetzten, das aus ihrer entschiedenen christlichen Überzeugung heraus getan haben.[2] Die bekannteste Person aus diesen Kreisen war ein englischer Parlamentarier namens William Wilberforce. Ebenso eindrücklich wie sein Engagement gegen Sklaverei und moralischen Relativismus war sein Weg zu dieser lebenslangen Aufgabe und vor allem sein Weg zu Gott:
Leben – Gottes Vorsehung und Plan
William Wilberforce wurde am 17. August 1759 in Hull, England geboren. Seit seinem neunten Lebensjahr war er durch den Tod seines Vaters Halbweise und wurde stark durch einen gläubigen Onkel und dessen Frau geprägt. Seine Mutter selbst beäugte diese frommen Verwandten eher missgünstig – ihrem Bestreben, William von diesem Einfluss solcher Prediger wie John Newton fernzuhalten, war erstmal Erfolg beschert. William begann zu studieren und führte ein sorgenfreies Leben und kandidierte 1780 mit gerade einmal 21 Jahren für das britische Unterhaus – und das mit Erfolg! William verlor bis zu seinem Tod keine einzige Wahl und wurde für die nächsten Jahrzehnte ein angesehener und redegewandter Berufspolitiker. Sein bester Freund war der ebenfalls noch sehr junge Premierminister William Pitt.
Zwei Aspekte ziehen sich wie rote Fäden durch diese frühen Lebensjahre Williams:
- Gott schenkte diesem jungen Mann eine weithin beachtete und beneidete Redegewandtheit. Mit tosendem Applaus nahmen die Zuhörer seine ersten Reden im Vorfeld seiner sich anschließenden Wahl auf. William war definitiv nicht auf den Kopf gefallen. Er war trotz einer mittelmäßigen Studienzeit ein brillanter und geschätzter Politiker und wusste, wie er seine Begabungen zielgerichtet einsetzen konnte.
Viele Menschen ließen sich von der Energie, Freude und Leidenschaft dieses jungen Mannes anstecken, denn William konnte andere Leute in Windeseile begeistern und für eine Sache gewinnen. Seine auf eine ehrliche Weise freundliche und interessierte Art wurde ihm selbst von politischen Gegnern zugestanden.
- Gleichzeitig war William zwar kein politischer Opportunist und eigentlich mehr aus Spontanität heraus zur Wahl angetreten, aber seine Beliebtheit nutzte er nach eigenen Aussagen vor allem, um sich in der Politik zu halten und seine Karriere zu fördern. Er war sicher niemand, der über Leichen ging. Dennoch verstand er seinen Reichtum, Intellekt und sein Amt auch nicht als Geschenk oder Pflicht, sondern als verdiente, hart erarbeitete Privilegien. Diese genoss er in vollen Zügen und setzte sie ein, um ein angenehmes, sorgloses Leben führe zu können.
Doch so wie Williams Herkunft, Lebenslauf und Persönlichkeit ein Hinweis auf Gottes Vorsehung im Geheimen sind, gewährt uns auch die Unruhe, die im Jahr 1784 in ihm aufkam, einen Einblick in das unsichtbare Wirken Gottes im Herzen von Menschen:
Ein junger Mann ohne Probleme – ein Leben ohne Schöpfer
„Sobald ich ernsthaft über diese Themen nachdachte, drängte sich mir die tiefe Schuld und die schwarze Undankbarkeit meines vergangenen Lebens in den kräftigsten Farben ins Bewusstsein, und ich verurteilte mich selbst dafür, meine kostbare Zeit, meine Möglichkeiten und meine Talente vergeudet zu haben.“
Williams Verständnis von Sünde war sehr tief davon geprägt, dass der gefallene Mensch sich selbst als Herrn seines Lebens versteht. Er hatte keinerlei finanzielle Sorgen, ein großes Anwesen von seinem Onkel geerbt und war in der High Society seiner Zeit ein gern gesehener, wenn nicht sogar einer der begehrtesten Gäste. Aufgrund seiner vielseitigen Begabungen, eines immer wieder bewiesenen Gesangstalents und eines ausgeprägten wie auch feinsinnigen Humors, rissen sich manche Leute förmlich darum, ihn auf ihre Feste einladen zu dürfen – so war garantiert, dass man selbst im Gespräch blieb und sogar der König vorbeischauen würde. Der junge Parlamentarier aus Devonshire führte ein sorgloses, erfolgreiches Leben auf der Überholspur. Aber William bemerkte immer deutlicher, dass sein Leben eigentlich nur um ihn selbst kreiste und er dem Gott, der ihm all das geschenkt hatte, nicht dankte (vgl. Röm 1,20-21). Auch wenn er bereit war, den Inhalten des Evangeliums rein inhaltlich zuzustimmen, sprach sein Leben immer noch eine ganz andere Sprache. Das machte ihn auf Dauer niedergeschlagen.
„Die große Wandlung“ – neues Leben durch Christus
„Ich muss wach werden für meine gefährliche Lage und darf nicht ruhen, bis ich meinen Frieden mit Gott gemacht habe. Mein Herz ist so hart, meine Blindheit so groß, dass ich keinen gebührenden Hass gegen die Sünde aufbringe, obwohl ich doch sehe, dass ich ganz verderbt und blind für die Wahrnehmung geistlicher Dinge bin.“
Von einer radikalen Bekehrung innerhalb weniger Stunden oder Tage kann man in Williams Biografie nichts finden. 1784 kam er während einer Reise mit einem ehemaligen Tutor aus Studienzeiten über entscheidende Fragen des Lebens und des christlichen Glaubens ins Grübeln. Dieser Freund, Isaac Milner, war ein gebildeter Mann, der an der Universität hohe Ämter versah und, wie William erstaunt feststellte, sich entschieden zu seinem christlichen Glauben bekannte. In der Zeit vom Winter 1784 bis zum Sommer 1785 führten sie intensive Gespräche über Gott, das (griechische!) Neue Testament und vor allem Jesus Christus. Aus anfänglicher rein intellektueller Zustimmung gegenüber den Inhalten der Bibel wuchs in William persönliches Vertrauen auf den darin bezeugten Jesus Christus – er nannte das „die große Wandlung“. William Wilberforce war im Begriff, Christ zu werden; nicht auf den Tag datierbar, aber an einer neuen Lebensausrichtung erkennbar. Er wusste um die auf lange Sicht sinnlose Aussicht eines Lebens, das nicht auf Gottes Ehre ausgerichtet ist. Aber wie konnte er sein Leben nun auf diesen Gott ausrichten, dessen Heiligkeit er erkannt hatte und dem er sein Leben anvertrauen wollte? Er brauchte Hilfe, doch bei wem konnte er sie finden?
Politisches Engagement als Christ – Leben mit neuen Zielen
„Der allmächtige Gott hat mir zwei große Ziele vor Augen gestellt: die Bekämpfung des Sklavenhandels und die Reformation der Sitten“
William erinnerte sich an einen mittlerweile alten Mann aus seiner Kindheit. Ein „frömmelnder“ Pastor mit zweifelhafter Vergangenheit – John Newton. Wenn man John glauben konnte, dann hatte Gott ihn aus einem Leben voller Brutalität, Angst und Wut befreit und aufgetragen, das Evangelium der „wunderbaren Gnade“ Gottes unter „ganz und gar verlorenen“ Sündern bekannt zu machen. Über seine gläubigen Verwandten hatte William diesen Pastor schon Jahre vorher kennengelernt. Am 07. Dezember 1785 trafen sie sich und führten ein intensives Gespräch über Williams bisheriges Leben, seine innere Unruhe, Gottes Gnade und was es heißt, ein Leben mit und für Jesus Christus zu führen. John ermutigte William, sein Amt als Parlamentarier nicht aufzugeben, sondern alles in seiner Macht Stehende zu tun, um ein Segen für die Menschen in seinem Land und dadurch vor allem ein Zeugnis für die verändernde Kraft des Evangeliums zu sein.
Im Laufe des Jahres 1786 konnten Williams Kollegen und Freunde etwas Merkwürdiges beobachten: der Spaßvogel, Entertainer und Karrierist Wilberforce änderte seine Einstellung zu seinem Vermögen und seiner Zeit. Sein Geld wollte er gewissenhaft verwalten und für andere einsetzen. Er führte Buch über seine Arbeitszeit und kämpfte darum, Rückstände aus seinen Studienzeiten in Cambridge nachzuholen.
Auch seine Einstellung zur politischen Arbeit im Parlament veränderte sich immer mehr. Statt vor allem auf seinen eigenen Vorteil bedacht zu sein, fragte er sich:
- Welche Anliegen waren unbeachtet, unbeliebt oder sogar anstößig, weil sie einem selbst nichts einbrachten?
- Welches Übel war so groß, dass ein Menschenleben voraussichtlich nicht ausreichen würde, um es auszurotten?
- Mit dem Einsatz für welche Sache konnte William an seinem „Arbeitsplatz“ ein Zeugnis für die verändernde Kraft des Evangeliums sein?
Über viele Jahre hinweg war John Newton als Sklavenhändler tätig gewesen und hatte die Grausam- und Unmenschlichkeit der Sklaverei hautnah miterlebt. Mittlerweile diente er als Pastor und hatte kaum Möglichkeiten, sich gegen dieses Unrecht zu engagieren. Durch Johns Leben und seinen Dienst als Pastor erkannte William jedoch die große Verantwortung und Möglichkeit, die Gott ihm durch sein politisches Amt und seine enorme Popularität anvertraut hatte. John war es auch, der Williams Bindeglied zur sogenannten „Clapham Sect“ oder den „Clapham Saints“[3] darstellte. Diese Gruppe wohlhabender und politisch engagierter Christen hatte sich die Abschaffung der Sklaverei und eine Reform des Justizsystems zum Ziel gemacht. Sie wussten um die moralische Gleichgültigkeit ihrer Zeitgenossen und waren sich sicher, dass der Einsatz für moralische Integrität ein Weg sein konnte, um das Evangelium zu bezeugen. Dafür nutzten die Clapham Saints die Printmedien ihrer Zeit geschickt, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Über viele Jahrzehnte gaben sie sich dem tatsächlich mühseligen und scheinbar aussichtslosen Kampf gegen Sklavenhandel und -besitz hin. William stieß zu dieser Gruppe und verschrieb sich dem gleichen Ziel.
Zum Weiterlesen
- Lean, Garth: Wilberforce. Lehrstück christlicher Sozialreform, Gießen 1974.
- Metaxas, Eric: Wilberforce. Der Mann, der die Sklaverei abschaffte, Holzgerlingen 2019 (die deutschsprachige Biografie; mit 12,00€ wirklich ein Schnäppchen)
Piper, John: Beharrlich in Geduld. John Newton, Charles Simeon, William Wilberforce, Bielefeld 2010 (sehr gute und knappe Einführung in Form eines allgemeinverständlichen Vortrags)
[1] Es entspricht historischer Unwissenheit, alttestamentliche, griechisch-römische und neuzeitliche Sklaverei gleichzusetzen. Im Kern verbindet zwar alle diese Systeme die Unfreiheit von Menschen und zwangsweise Einbindung in ausbeutende Arbeitsverhältnisse. Aber die Sklaverei zu Zeiten des AT etwa war eine weit humanere als die der Römer. Die neuzeitliche, „moderner“ (!) Gesellschaften ist die wahrscheinlich grausamste in der Menschheitsgeschichte. Aber zu behaupten, der christliche Gott billige diese Praxis, entbehrt einer fundierten Auseinandersetzung mit dem biblischen Zeugnis.
[2] Zu bemängeln ist sicherlich mit Recht, wie gleichgültig oder sogar zustimmend Christen sich gegenüber dem Unrecht moderner Sklaverei verhielten/verhalten. Doch sowohl von evangelischer als auch katholische Seite gab es zudem stets biblisch begründeten Widerspruch gegen diese Praxis.
[3] Im Englischen wie auch im Deutschen bezeichnet „Sekte“ ursprünglich nicht zuerst eine Gemeinschaft mit Sonderlehren, sondern das Augenmerk des Spotts anderer lag darauf, dass solche Gruppen zahlenmäßig klein und zuweilen elitär waren; bei der Clapham Sect handelte es sich zwar um Christen, sie bildeten allerdings keine religiöse/kirchliche Gemeinschaft im eigentlichen Sinne. Man könnte sie heutzutage mit einem christlichen Think-Tank oder einer Interessengemeinschaft vergleichen; mehre dazu hier (leider nur auf Englisch), zuletzt abgerufen am 26.12.2020.