Amazing Grace – ein Lied aus Dankbarkeit

von Jonathan Malisi
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„Oh Gnade Gottes, wunderbar hast du errettet mich.
Ich war verloren ganz und gar, war blind, jetzt sehe ich.

Die Gnade hat mich Furcht gelehrt und auch von Furcht befreit
seitdem ich mich zu Gott bekehrt bis hin zur Herrlichkeit.

Durch Schwierigkeiten mancher Art wurd‘ ich ja schon geführt,
doch hat die Gnade mich bewahrt, die Ehre Gott gebührt.

Wenn wir zehntausend Jahre sind in seiner Herrlichkeit,
mein Herz noch von der Gnade singt wie in der ersten Zeit.“

John Newton
(deutsche Übersetzung von Anton Schulte)

Den ersten Teil zur Biografie John Newtons findest du hier.

Der Glaube hinter dem Lied…

Amazing Grace beschreibt das Wirken Gottes an Sündern sozusagen als Dreiklang des menschlichen Glaubensweges: Das Wissen um unsere Verlorenheit (Sündenerkenntnis), die Abwendung von der Sünde hin zu Jesus Christus (Buße) und ein neues Leben nach Gottes Willen unter Seiner Führung (Glaube):

…erschrickt angesichts der Radikalität unserer Sünde.

Newton war absolut und felsenfest davon überzeugt, dass Umkehr und Glaube durchaus die Antwort des Menschen auf die durch Jesu Tod und Auferstehung geschehene Errettung waren; aber vor allem sah er all das eingebettet in Gottes Wirken an und gegenüber verlorenen Menschen. Das war keine neue Erkenntnis für ihn, denn schon zuvor hatte Newton einmal geschrieben:

Es ist dem Sünder unmöglich, den Herrn zu suchen, denn er steckt so tief in der Sünde, dass er in Feindschaft gegen Gott lebt. Ja mehr noch, sein Wille ist wahrscheinlich so verderbt, dass er es gar nicht vermag. Da der Sünder nicht Gott suchen kann, sucht Gott ihn und überschüttet ihn mit Gnade.

Ganz offensichtlich kannte er das zerstörerische Elend, das aus der Sklaverei resultierte, aus erster Hand. Schließlich hatte er es nicht nur gesehen und mitbekommen, sondern sich tatsächlich auch selbst an anderen Menschen versündigt. Vielleicht konnte Newton gerade daher verstehen, dass der natürliche Zustand von uns Menschen gegenüber Gott als schlussendlich tödliche Sklaverei in Sünde bezeichnet wird (vgl. Röm 6,15-23). [1]

…zeugt von Gottes augenöffnender Gnade.

Aber wie kam es zur Entstehung dieses konkreten, berühmtesten Liedes Newtons? Seine Tagebuchaufzeichnungen aus den Monaten davor zeigen, dass er für seine Gemeinde auch Lehrstunden und Vorträge zu John Bunyans schon damals berühmten Buch Die Pilgerreise[2] vorbereitete und hielt. Unter anderem deshalb blickte er auf seine vergangenen Lebensjahre zurück. Bereits Jahre zuvor bekannte er schon, dass sein Lebensweg als Gläubiger, ja sein Glaube selbst, nicht auf seiner eigenen Treue zu Gott, sondern auf Gottes Treue zu ihm gründete:

Nun begann ich die Sicherheit des Gnadenbundes zu verstehen und ich erwartete, im Glauben bewahrt zu bleiben, nicht durch meine eigne Stärke und Heiligung, sondern durch die mächtige Kraft und Verheißung Gottes, durch den Glauben an einen unwandelbaren Erlöser.

…dankt Gott für seine wunderbare Führung und Erlösung.

„Es ist wohl ein rechter Grund zum Staunen, dass Gott eine solche Erlösung erdacht hat“,

erklärte Newton in seiner Neujahrs-Predigt. Diese hielt er am 01. Januar 1773 in der Gemeinde St. Peter and St. Paul in Olney, die er als Pastor betreute, über 1Chr 16,16-17.
In den Jahren davor hatte er es sich zur Angewohnheit gemacht, für seine Gemeinde zu jeder Predigt ein Lied zu verfassen, quasi als „Nacharbeit“ zur Predigt. Das Dichten dieser sogenannten „Olney-Hymnen“ hatte er begonnen, da sich die Gemeinde, die er betreute, aufgrund ihres zahlenmäßigen und gerade auch geistlichen Wachstums mittlerweile zusätzlich zum Gottesdienst in einer Art Hauskreis/Bibelstunde traf. Damals gab es in der Anglikanischen Kirche noch Regelungen aus der Zeit der Reformation, die nur das Singen bereimter Psalmen im Gottesdienst erlaubten. Unter anderem deshalb traf man sich zum Singen bei Familien, im Pfarrhaus oder in speziellen Gemeinschaftshäusern.

Auch und vielleicht gerade, weil Newton eine Neujahrspredigt hielt, schloss er auch mit einem Aufruf, für Gottes Führung dankbar zu sein, Seinen Verheißungen zu vertrauen und auch in schweren Zeiten geduldig Sein souveränes Eingreifen zu erwarten; das zu dieser Predigt gehörende Lied ist heute unter dem Titel Amazing Grace bekannt!

Amazing Grace und Du

John Newtons Lobeshymne auf Gottes wunderbare Gnade hat nicht nur eine interessante und beeindruckende Entstehungsgeschichte und verarbeitet nicht nur lyrisch-allgemein den Weg einer Bekehrung. Nein, Amazing Grace zeigt uns ganz deutlich, wie ein gnädiger Gott dauerhaft an konkreten, verlorenen Menschen arbeitet:

Vielleicht kanntest du die Geschichte dieses Liedes und die Biografie Newtons schon; vielleicht aber auch nicht. Egal, wie viel man über ihn weiß: Das Leben dieses Komponisten ist definitiv beeindruckend. Er war ein standhafter, hingegebener, großzügiger, bescheidener und liebevoller Christ. Aber so war er nicht auf die Welt gekommen – und sündlos oder vollkommen war er sein ganzes Leben nicht. Darum zeigt Amazing Grace dieser Welt: Jünger Jesu sind keine Helden, die vom Himmel fallen; Gott findet nichts Beeindruckendes oder für Ihn Liebenswürdiges an uns – aber er schafft es sich aus wunderbarer Gnade durch Seinen Sohn! Dass Gottes Gnade unverdient ist, ist wunderbar.

In meiner Gemeinde singen wir dieses Lied normalerweise bei Taufen. Ich finde es dann immer wieder aufs Neue bewegend, von verschiedensten Menschen zu hören, wie sie zu Gott finden und die Schönheit und Einzigartigkeit Jesu erkennen durften. Denn Amazing Grace zeigt uns: Am Kreuz von Golgatha gibt es keine Unterschiede zwischen uns Menschen. Dass ein Mensch darin etwas Wunderbares erkennen kann, ist ein uns nicht verfügbares Wirken Gottes (vgl. 1Kor 1,18-25). Dass Gottes Gnade den Schlimmsten gilt, ist wunderbar.

Vor allem aber zeigt uns Amazing Grace einen erhabenen Gott, der uns Christen besonders in Schwierigkeiten herausfordert: Vertrauen wir dem Gott, der uns in diese Schwierigkeiten geführt hat? Oder suchen wir bequemere und schnellere Auswege aus unangenehmen Situationen oder sogar beinahe zermürbenden Lebensphasen? Dass Gottes Gnade uns zur Anbetung ebendieses Gottes führt, ist wunderbar.

Zum Weiterlesen


[1] Interessanterweise waren die Aussagen des Liedes hinsichtlich der geistlichen Blindheit und dem Tod des Menschen für Newtons Zeitgenossen so deutlich, dass manche Pastoren, die ihm diesbezüglich nicht zustimmten, das Lied entsprechend umdichteten.

[2] Dieses Werk (veröffentlicht 1678) verfasste der Baptist Bunyan (1628-1688) während seiner mehrjährigen Gefängnisstrafe, da er unerlaubterweise gepredigt hatte; zu dieser Zeit war es für freikirchliche Christen faktisch kaum möglich, sich legal zu versammeln.

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