Am Samstag, 19.09.2020 wird erneut der jährliche Marsch für das Leben in Berlin stattfinden. Dieser wird vom Bundesverband Lebensrecht (BvL) organisiert. Als Josia-Netzwerk empfehlen wir euch die Teilnahme an dieser Veranstaltung nachdrücklich. Da alle Menschen ungeachtet ihres Alters und ihrer Herkunft Ebenbilder Gottes sind, teilen wir besonders die Sorge und Bestürzung um das verheerende Ausmaß der Tötung ungeborener Menschen in unserem Land.
Wir haben im Vorfeld mit Hartmut Steeb, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Bundesverbandes Lebensrecht und ehemaligen (1988-2019) Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, ein Interview geführt.
Herr Steeb, können Sie sich in einigen wenigen Sätzen vorstellen?
Ich bin Stuttgarter, 1953 geboren und habe jetzt offenbar die ersten beiden Drittel meines ersten Jahrhunderts hinter mir. Beruflich habe ich die Verwaltungslaufbahn eingeschlagen und bin Diplom-Verwaltungswirt, arbeitete aber die letzten über 31 Berufsjahre als Geschäftsführer bzw. Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz. Seit 1975 bin ich verheiratet. Meine Frau und ich haben 5 Mädchen und 5 Jungen, inzwischen 7 Schwiegerkinder und 18 Enkel.
Was hat Sie dazu bewogen, sich für Lebensschutz einzusetzen?
Obwohl ich meine Mittlere Reife mit mangelhaft (kurz vor ungenügend) in Biologie abgeschlossen habe: Dass das menschliche Leben von der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle an sich als Mensch und nicht erst zum Menschen entwickelt, habe ich doch schon sehr früh verstanden. Und dann wurde mir klar: Lebensrecht gibt es nur brutto, für alles menschliche Leben. Durch das Miterleben der Geburt unseres ersten Sohnes 1976 war endgültig klar: Das Geschenk menschlichen Lebens darf man nie zur Disposition stellen.
Ist es nicht unchristlich, das Grundrecht jeder Frau, selbst über ihren Körper zu verfügen, einschränken zu wollen?
Ich plädiere leidenschaftlich für die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung jedes Menschen, Frau und Mann. Es darf keinen Zwang zur sexuellen Betätigung oder sexuellen Gemeinschaft geben. Aber wenn aus der geschlechtlichen Gemeinschaft ein neuer Mensch gezeugt wird, geht es nicht mehr nur um das Verfügungsrecht der Frau über ihren Körper. Da ist ein neuer Mensch da. Der hat auch ein Selbstbestimmungsrecht. (Das hat übrigens auch das Bundesverfassungsgericht festgehalten.) Der muss geschützt werden. Das gehört zur Würde des Menschen, dass nicht das Recht des Älteren, der Stärkeren, der Einflussreicheren gilt. Und klar ist: Immer und überall endet das Selbstbestimmungsrecht eines Menschen am Recht auf Leben und am Recht auf Freiheit des anderen Menschen.
Welches Anliegen verfolgt der Marsch für das Leben im Kern?
Wir stehen für Bildung und für Charakterbildung, für das Freiheitsrecht jedes Menschen, für das Selbstbestimmungsrecht und für das Recht auf Schutz für die Schwächeren, die Ungeborenen, die Babys, die Kinder und die Alten und Kranken und Leidenden und Sterbenden. Je weniger sich ein Mensch selbst helfen kann, desto mehr braucht es den Schutz durch die Nächsten, den Schutz Dritter, der Gesellschaft und der staatlichen Gemeinschaft. Das wollen wir deutlich machen, weil das Bewusstsein für diese Selbstverständlichkeit immer mehr zu schwinden scheint, selbst bei Politikern, Intellektuellen, Medienschaffenden und leider auch in Kirchen. Wir wollen einen Rechtsstaat, dem die Würde des Menschen als oberstes Prinzip nicht genommen werden kann. Die Würde des Menschen ist die Perle des Rechtsstaates. Mit Worten des Grundgesetzes heißt das: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ und „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“.
Denken Sie, dass dieses Anliegen umsetzbar ist?
Natürlich sind Machbarkeitsstudien heute an der Tagesordnung. Aber hier geht es zuerst um Wahrheit, Recht und Würde des Menschen. Da muss die Frage der Machbarkeit hintenanstehen. Zu Recht schauen wir heute auf zu den – viel zu wenigen – Menschen, die gegen Diktaturen und totalitäre Herrschaften aufgestanden sind. Sie wussten sich der Wahrheit und nicht der Machbarkeit verpflichtet. Wir werden darum die Botschaft sagen müssen, ob wir gehört werden oder nicht.
Hat es einen konkreten Grund, dass sie in Ihrem Internetauftritt nicht explizit von einem christlichen Welt- und Menschenbild her argumentieren?
Der Bundesverband Lebensrecht ist ein säkularer Zusammenschluss von Vereinen, die sich auf unterschiedliche Weise dem Lebensschutz verpflichtet wissen. Bei uns arbeiten viele Christen mit. Aber man muss nicht Christ sein, um für Recht und Wahrheit einzutreten. Wer freilich Christ ist und sich vom biblischen Menschenbild leiten lässt, der kann nach meiner Überzeugung zu keinen anderen Ergebnissen kommen.
Wirkt und ist das Engagement von Christen gegen Abtreibung nicht häufig einseitig-rücksichtslos oder übertrieben politisch?
Jede Botschaft hat einen Sender und einen Empfänger. Wir bemühen uns als „Sender“ klar und argumentativ zu reden, zu schreiben, authentisch zu leben. Ich nehme die Frage auf und sage, ja, wir sind sehr einseitig-rücksichtsvoll, immer für das Leben, für die Würde des Menschen. Beim Lebensrecht für Menschen kann man keine Kompromisse schließen. Es geht um Leben und Tod. Wenn jemand nicht leben darf und getötet wird, dann muss man einseitig für das Leben und gegen den Tod eintreten. Ich glaube auch, dass man den Einsatz für das Menschenrecht auf Leben nicht wirklich übertreiben kann, wie auch. Wenn es ums Leben und Überleben von Menschen geht, ist kein Einsatz zu groß. Und darum sollten wir schon auch mal die Quantität des Unrechts anschauen. Die Weltgesundheitsbehörde (WHO) spricht von über 56 Millionen Abtreibungen jedes Jahr, das sind täglich ca. 155.000 Menschen, die mit Gewalt daran gehindert werden, das Licht der Welt zu erblicken. Das ist die größte und schlimmste Menschenrechtsverletzung in unserer Zeit, ja, aller Zeiten.
Wie sieht das Engagement der im BvL zusammengeschlossenen Initiativen über den Marsch für das Leben hinaus aus?
Weil das Leben immer die bessere Alternative ist, stehen wir praktisch für das Leben ein. Wir sind als Gesprächspartner und konkrete Helfer da für Frauen in Schwangerschaftskonflikten, vor und nach der Geburt. Es gibt Patenschaftsprogramme für Schwangere. Wir stehen für Hilfen auch für das Umfeld der Schwangeren zur Verfügung. Wir lassen uns gerne einladen, um über die Herausforderungen des Lebens und des Lebensrechts zu reden, zu informieren. Schulmaterialien sind erarbeitet. Wo nötig, gibt es juristische Hilfe, ärztlichen Rat, wissenschaftliche Unterstützung und Vieles andere mehr; übrigens bis hin zur Hilfe für Frauen nach Abtreibungen, für Menschen, die unter ihrer Schuld und Not leiden.
Wir als Netzwerk Josia – Truth for Youth möchten die Verbindung Jugendlicher zu ihren Ortsgemeinden fördern. Wie bestimmen sie als BvL ihr Verhältnis zu lokalen, christlichen Gemeinden?
Als BvL haben wir kein Gemeindeaufbauprogramm. Aber wir wünschen uns die Unterstützung unserer Arbeit durch christliche Gemeinden und sind umgekehrt bereit in christlichen Gemeinden zu helfen, dass dem umfassenden Auftrag des Lebensschutzes besser geholfen werden kann. Denn alle Christen und alle Gemeinden sind hier gefordert. Manche haben das vielleicht nur noch nicht erkannt.
Was können unsere (jungen) Leser über die Teilnahme am Marsch für das Leben hinaus tun? Wie kann man sich konkret für das Leben Ungeborener engagieren?
Sich bilden, reden, schreiben, sich öffentlich und in den sozialen Medien im Sinne des Lebensschutzes einsetzen, verantwortlich mit seiner eigenen Sexualität umgehen, erst und nur in der Ehe intim werden. Gottes genialen Schöpfungsplan erarbeiten, verstehen, weitergeben und mit offenen Augen, Ohren und Herzen helfend eingreifen, wo Hilfe gebraucht wird. Teilnahme an Lebensschutzveranstaltungen, dafür werben, einladen und sich öffentlich dazu bekennen.
Vielen Dank für das Interview! Wir wünschen Ihnen für diesen wertvollen Dienst weiterhin Gottes Segen, die nötige Kraft wie auch Geduld und Liebe zu den Menschen, für die Sie sich einsetzen.
Vielen Dank, auch für die sehr guten Fragen.
Literaturempfehlungen:
- Buth, Ute und Schirrmacher, Thomas: Schwangerschaftsabbruch. Fakten und Entscheidungshilfen, Holzgerlingen 2013 (seelsorgerlich-praktisch ausgerichteter Ratgeber, den man in 2 Stunden lesen kann)
- Alcorn, Randy: Pro Life. Argumente gegen die Tötung Ungeborener, Bielefeld 2015 (kurzes Buch, das auch Themen wie Adoption oder Behinderung in ihrer Beziehung zu Abtreibung aufgreift)
- Pearcey, Nancy: Liebe deinen Körper. Sexualität, Gender und Ethik aus Sicht von Medien, Politik und Bibel, Augustdorf 2019 (unser Interview mit dem Herausgeber findet ihr hier)
Etwaige auf dem Marsch für das Leben getroffene Aussagen müssen nicht in allen Facetten die theologischen oder politischen Überzeugungen von Josia – Truth for Youth widerspiegeln.
1 Kommentar
Super Fragen und Antworten. Besonders gefällt mir an den Fragen, dass Jonathan nicht nur den christlichen Standpunkt der Abtreibung einnimmt, sondern auch teilweise Argumente der Befürworter der Abtreibung stellt, die wir vielleicht auch bei Gesprächen mir Befürwortern der Abtreibung gestellt bekommen. Danke!