Begegne Gott in der Wüste – mit Gott durch schwere Zeiten

von Declan McMahon
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Was mache ich, wenn Gott weit weg ist? Was mache ich, wenn mein Schmerz mich von Gott trennt? Wie kann ich mich als junger Mensch auf schwere Zeiten vorbereiten? Es geht in diesem Artikel um eine bestimmte Fähigkeit, die du brauchst, wenn deine Zeit kommt: Das Klagen.

Wie geht Klagen? (Psalm 22)

David klagt:

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Ps 2,2

Er klagt über die Schande und den Spott, mit dem andere ihn überhäufen (Ps 22,7-9). Er zitiert sie sogar: „Er soll doch auf den HERRN vertrauen!“. Hast du das schonmal gemacht? „Gott, heute hat er …  zu mir gesagt.“

Er klagt über die Übermacht seiner Feinde:

„Es umringen mich große Stiere“

Ps 22,13-14

Das ist faktisch falsch. Seine Feinde sind keine Stiere. Ist das schlimm? Das ist überhaupt nicht schlimm. Er sagt nicht, wie es ist. Er sagt, wie es sich anfühlt. Gott braucht keine vorsichtigen Ich-Botschaften von dir.

Er klagt über den Zerfall seines Körpers (22,15-16): Knochen, Herz, Zunge. Hast du Gott schon mal deinen Körper beschrieben? Er sagt nicht „Gott, bitte heile mich. Amen“. Er beschreibt sich selbst, wie er sich erlebt und fühlt. Ganz ausführlich.

Er sagt nicht: „Die Stiere waren es“. Sondern: „Gott, DU legst mich in den Staub des Todes“. (Ps 22,16)

Er klagt (ausführlich) bevor er bittet. Der größte Teil dieses Psalms hat keine Bittanliegen. David beschreibt Gott sein Leiden, er beschreibt ihm die Wüste, wie die Dinge sind, wie sie sich anfühlen, wie er sie erlebt. Das unterscheidet Davids Gebet ganz krass von dem Gebet unserer Generation. Wir machen unseren Austausch, jeder erzählt sein Anliegen und dann beten wir sie runter, ohne sie Gott zu beschreiben. Wir beten für den, der Krebs hat, und beschreiben Gott nicht, warum es überhaupt schlimm ist, Krebs zu haben. Unsere Gebete müssen für Gott wie eine Einkaufsliste klingen: „Das, das, das, und das, AMEN!“ Fertig. Gebetsrunde geschafft. „Und alles was wir jetzt nicht genannt haben …“. Psalm 22 würde auf diese Weise sehr schnell zu Ende sein: „Gott sei bitte da. Amen“ (Ps 22,12a). Aber so betet David nicht; er argumentiert vor Gott, gibt ihm Gründe, da zu sein. Ich glaube das macht etwas mit David und auch mit uns, wenn wir auch so beten.

Was passiert, wenn wir klagen

Die allermeisten Psalmen sind Klagepsalmen. Die Lieder, die der Heilige Geist inspiriert hat – die meisten sind traurig. Sie sind voller Klage und auch Anklage an Gott. Im stärksten Kontrast zur westlichen Worship-Musik, wo das beinahe nicht vorkommt. Es ist unglaublich wichtig, dass wir als Gemeinden das (musikalische) Klagen neu entdecken. Wenn du Musiker bist, wenn du Lieder schreibst: Schreib ein Klagelied.

Wenn wir als Gemeinde, Jugend, Hauskreis, Zweierschaft, Ehepaar, Familie Klagepsalmen für uns regelmäßig, benutzen dann passiert Folgendes:

1. Du hast die Möglichkeit, es auszudrücken:

Gottes Liederbuch hilft dir, auszudrücken wie es dir geht; es dir von der Seele zu reden. Vor deinem Schöpfer und Erlöser. Und zwar in von Gott legitimierter Sprache. Du darfst zu Gott sagen „DU hast mich in den Staub gelegt!“. Du findest in diesen Psalmen Worte, wenn du selbst keine hast. Das ist ja oft das Schwerste: Es überhaupt zu sagen, es überhaupt zu benennen. Es einmal richtig zu sagen: „Der und der hat mir das und das angetan“. Oder: „Diese Krankheit, dieses Ereignis, diese Beziehung hat mein Leben zerstört“. Du wirst zwar nicht den Psalm finden, der haargenau deine Situation trifft, weil du nicht David bist. Du bist nicht ein altvorderorientalischer König in der Bronzezeit. Aber David zeigt dir wie man darüber redet, wie man klagt. Er klagt dir vor, bis du selbst klagen kannst. Kinder lernen das Reden durch Hören. Und Kinder Gottes auch. Indem wir diese Psalmen hören, lesen und mitsingen.

2. Solidarität entsteht:

Wenn wir in einem Gottesdienst einen Klagepsalm gemeinsam laut vorlesen, dann werden die, denen es schlecht geht, sagen: „Jawohl, so geht es mir, da stimme ich mit ein!“ Was sie dabei aber außerdem merken ist: „Alle anderen leiden mit mir. Sie beten diesen Psalm gemeinsam mit mir.“ Wenn die ganze Gemeinde den Psalm mitspricht, sagt sie damit: „Doch, dieser Psalm ist wahr, so geht es Menschen in unserer Mitte tatsächlich. Es ist schlimm, wenn es dir so geht“. Die Gemeinde bestätigt: „Es gibt hier etwas zu klagen“, „Du bist nicht allein in deinem Leiden, wir sehen es“, „Uns geht es super, aber aus Solidarität mit den Leidenden, sprechen wir diesen Psalm laut mit“. Auch wenn man das zu zweit macht. Wenn du mit jemanden einen Klagepsalm sprichst, dann fühlt sich die Person nicht so allein in ihrem Leiden, weil du mitmachst.

3. Distanz zu Gott schrumpft:

Auch wenn es unserer Intuition widerspricht: Gott etwas vorzuwerfen schafft keine Distanz zu ihm. Es verkürzt die Distanz. Denn es zeigt dir: Du stehst in einem Bund mit diesem Gott. Sein Sohn hat sein Blut für mich vergossen. Er darf mich jetzt nicht hängen lassen. Das wäre Sünde. Bundesbruch. Gott zu sagen „Du bist doch mein Gott, wie kannst du mich so im Stich lassen! Wo bist du?!“ erinnert dein Herz daran, dass du tatsächlich eine Beziehung zu Gott hast, auch wenn es sich nicht so anfühlt. In deinem Herzen kommt dir diese Beziehung oft nicht echt vor. Aber auf dem Papier ist sie wahr. Auf dem Papier der Bibel. Im Brot und im Wein und im Wasser.

4. Eigene falsche Gedanken verschwinden (für eine Weile):

Es gibt nichts Besseres für einen Depressiven, als mit ihm einen Klagepsalm zu beten. Der Klagepsalm ist nämlich wahrer als die depressiven Gedanken. Der Klagepsalm sagt auch manchmal „Gott ist nicht da“. Aber am Ende des Psalms ist Gott doch da. Die Psalmen helfen dir mit deinem Gedankenleben. Und sie sind noch da, wenn die Gedanken wiederkommen.

5. Bereitschaft für schwere Zeiten wächst:

Es ist besser für dich, wenn du in guten Zeiten das Klagen lernst, als völlig unvorbereitet dazustehen, wenn Leid über dich hereinbricht. Die guten Zeiten sind zum Vorbereiten da. Das Leid der anderen ist zum Vorbereiten da. Meine leidenden Geschwister in der Gemeinde zu beobachten, hat mir viel gebracht. Ich habe gesehen, wie sie alles verloren haben, ohne den Glauben zu verlieren. Sie haben sich nicht geschämt zu weinen. Wenn wir mit den Weinenden weinen und mit den Klagenden klagen, dann werden wir nicht so überrascht sein, wenn unsere Zeit kommt.

6. Menschen begegnen Jesus:

Klagepsalmen helfen Menschen, die leiden, Jesus kennen zu lernen. Wenn deine ungläubigen Freunde leiden – wenn du ein Prediger bist, der leidende Menschen mit dem Evangelium erreichen will – gib ihnen nicht immer nur die schönen positiven Bibelverse. Gib ihnen auch „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“. Das wird sich echt anfühlen, weil es sagt, was sie durchleiden. Dann können sie diesen Psalm lesen und sagen „Der, der hier klagt, kommt mir bekannt vor, der hat was mit mir gemeinsam“. Dann kannst du ihnen die Psalmen zeigen und sagen „Das sind die Lieder von Jesus“. Jesus ist der eigentliche Psalmist. Er ist der, der gelitten hat, er ist es, der da klagt. In den Klagepsalmen können Nichtchristen, die leiden müssen, in ihrem Leiden das Leben selbst finden.

Was du in der Wüste machen musst

Der Trick ist: Nicht zu bitten, bis du fertig geklagt hast. Bis du ihm gesagt hast, wie die Wüste ist. Wie heiß, trocken, einsam. Das wird dich durch die Wüste durchtragen. Das ist, was alle gemacht haben, die es vor dir geschafft haben. Das ist was der Heilige Geist in seinen Psalmen empfiehlt.

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3 Kommentare

Benny Depner 10. Februar 2020 - 15:26

Vielen Dank, Declan, für diesen sehr hilfreichen und super ausgearbeiteten Artikel!

antworten
Alyssa Riesen 13. Februar 2020 - 19:34

Danke, Declan, für die befreienden und ermutigenden Worte!

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Gottfried 14. Februar 2020 - 11:12

Ein super Artikel! Vielen Dank Declan für diese wunderbare Erklärung der Klagepsalmen! Hat mich weitergebracht.

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