Der Apostel Paulus, einst ein Christenverfolger, dann durch die Gnade Gottes wiedergeboren und zum Boten für Jesus Christus berufen, unermüdlich im Dienst, hingegeben, treu und voller Eifer, verfolgte in seinem Dienst ein großes Ziel. Ein Ziel, das sein gesamtes Lebenswerk umreißt: Den „unausforschlichen Reichtum des Christus“ zu verkünden (Eph 3,8).
An vielen Stellen schreibt Paulus etwas über diesen Verkündigungsdienst. Den Korinthern erklärt er: „Denn ich nahm mir vor, nichts anderes unter euch zu wissen als nur Jesus Christus, und ihn als gekreuzigt.“ (1. Kor 2,2). Auch der Gemeinde in Kolossä erläutert er seine Mission: „Ihn verkündigen wir, indem wir jeden Menschen ermahnen und jeden Menschen in aller Weisheit lehren, um jeden Menschen vollkommen in Christus darzustellen …“ (Kol 1,28). Obwohl Paulus an anderer Stelle erklärt, dass er den Ephesern den ganzen Ratschluss Gottes verkündigt hat (vgl. Apg 20,27), sagt er gleichzeitig, dass er nichts als Christus verkündigt hat. Dies ist eine wichtige Wahrheit: Die Schriften in all ihrem Umfang und ihrer lehrmäßigen Komplexität gründen sich auf die Person und das Werk Jesu Christi. Jesus selbst sagt, dass die Schriften von ihm zeugen (vgl. Joh 5,39). Christus ist das große Thema der ganzen Schrift. Steve Lawson brachte es auf den Punkt, indem er sagte: „Die Propheten sagen, er wird kommen, die Evangelien sagen, er ist hier, in der Apostelgeschichte wird er verkündigt, die Briefe erklären ihn, die Offenbarung sagt, er kommt wieder.“
Aber Paulus und die anderen Apostel haben nicht nur theoretische Vorlesungen über Christus als Person gehalten – sie haben den „unausforschlichen Reichtum des Christus“ verkündigt. Das klingt nach etwas Herrlichem, Majestätischem, Weltbewegendem. Worin besteht dieser Reichtum? Kennen wir diesen Reichtum? Brennt unser Herz in uns, wenn uns Christus verkündigt wird (vgl. Lk 24,32)? Ist Christus für uns Leben (vgl. Phil 1,21)? Wenn wir uns die christliche Landschaft von heute anschauen, müssen wir traurigerweise zugeben, dass Christus und seine Herrlichkeit, sein unausforschlicher Reichtum, nicht mehr Zentrum und Fokus unseres Glaubens sind. Die Gotteserkenntnis, die völlig von unserer Erkenntnis Christi abhängig ist, hat an Beachtung verloren. Es gab eine Zeit, in der die Christus-zentrierte Form des Christentums viel eher anzutreffen war (die selbstzentrierte Form des Christentums, wie sie heute vorherrscht, ist nicht die Norm). Eine einfache Beobachtung zeigt das. Im Folgenden liste ich einige Bücher aus früheren Zeiten auf, die sozusagen als die Bestseller der damaligen Zeit galten:
- „Christ in Song“(Philip Schaff, deutscher Theologieprofessor des 19. Jahrhunderts). Philip Schaff hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lieder und Hymnen über Christus aus allen Zeiten, vom zweiten bis zum 19. Jahrhundert, und aus allen Sprachen zu sammeln. Das Buch hat nur zwei Teile. Der erste heißt “Christus für uns”, in dem das Werk Christi gepriesen wird und der zweite Teil heißt “Christus in uns”. Ein Christus-zentriertes Liederbuch, das seinesgleichen sucht.
- „Looking unto Jesus“(Isaac Ambrose). Der Autor bespricht hier verschiedene biblische Aspekte über die Taten und das Werk Christi für Sünder. Nach jedem Kapitel gibt es eine achtfache Anwendung: 1. Jesus (in dem jeweiligen Aspekt) kennen, 2. über ihn nachsinnen, 3. sich nach ihm sehnen, 4. auf ihn hoffen, 5. an ihn glauben, 6. ihn lieben, 7. diesen Aspekt seines Wesens in Anspruch nehmen, 8. ihm gleichgestaltet werden.
- „The true Christian’s love to the unseen Christ“ von Thomas Vincent, einem Puritaner des 17. Jahrhunderts. Er schreibt es auf der Basis von 1. Petrus 1,8: „… den ihr liebt, obgleich ihr ihn nicht gesehen habt; an den ihr glaubt, obwohl ihr ihn jetzt nicht seht, über den ihr mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude jubelt …“.
- Philip Henry, der Vater von dem bekannten puritanischen Schreiber Matthew Henry, schrieb das Buch „Christ all in all“, welches 41 Kapitel enthält, die jeweils Textabschnitte der Schrift behandeln, die beschreiben, was Christus für die Gemeinde ist (König, Herr, Priester, Grundstein, Brot, Banner, Leben, …).
Eine Frage, die uns zu denken geben sollte: Warum handeln die aktuellen Bestseller christlicher Buchhandlungen nicht von Christus? Warum haben die Autoren der vergangenen Zeiten so viel über Christus geschrieben? Die Antwort ist einfach: Jesus zu kennen, ihn zu lieben und ihm folgen, war für sie kein kleiner Part des christlichen Lebens, es war auch kein großer oder mehrheitlicher Part. Es war das christliche Leben. Viele zeitgenössische christliche Bücher behandeln folgende Fragen: „Wie finde ich Freude?“, „Wie rette ich meine Ehe?“, „Was lehrt die Bibel über…?“,„Wie werde ich der Mann, der ich sein sollte?“, „Wie fülle ich mein Leben optimal?“, usw. Diese Fragen sind mit Sicherheit nicht schlecht, ja, sie sind sogar sehr hilfreich, aber sie sind nicht von zentraler Bedeutung. Die meisten der zeitgenössischen Predigten, Bücher etc. handeln nicht von dem unausforschlichen Reichtum, von der Herrlichkeit des Christus. Wenn es um Jesus geht, dann wird eher gefragt: „Was kann Jesus für mich tun?“ Über Jesus wird nur wenig um seiner selbst willen nachgedacht. Diesen Zustand muss ich beschämt auch in meinem Leben feststellen.
Ich denke, dass dieser Zustand eine geistliche Fehlstellung im Leben eines Christen ist. Ich hoffe und bete, dass Gott in uns, seinem Volk, wieder neu ein tiefes Verlangen weckt, den unausforschlichen Reichtum zu erforschen und die Herrlichkeit Christi in den Mittelpunkt unseres Lebens und Denkens zu stellen. Wie sehr würde sich unser Leben, unsere Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen, ja, unser ganzer Wandel in sämtlichen Bereichen ändern, wenn unser Bewusstsein für Christus groß wird und wir lernen, ihn zu schätzen und uns jubelnd über ihn zu freuen.
Ich würde lieber blind, taub und stumm sein und nicht riechen und schmecken können, als Christus nicht zu lieben! Unfähig zu sein, ihn über alles zu schätzen, ist die schlimmste Unfähigkeit. Es ist der Tod der Seele!
C. H. Spurgeon