Die Schlagzeile der Tageszeitung, die bei uns im Geschäft auflag, vermittelt ein aktuelles Bild dafür, wer heute als „richtiger Mann“ zu gelten hat. Er springt von einer Klippe 60 Meter in die Tiefe. Dies tut er für einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde.[1] Der Sprung wurde gefilmt, der Aufschlag im Wasser durch das Zugeben von Sauerstoff abgemildert. Nur sein Kreuzband sei angerissen, gab der Mutige nachher den Medien bekannt. Das Ideal, das uns vorgestellt wird, lautet: Ein Mann nimmt Risiko. Er präsentiert sich. Er verewigt sich.
Wer einen Blick in die aktuelle (säkulare) Männerliteratur wirft, erfährt etwas Zusätzliches: Mit den Männern stimmt etwas nicht. Sie ringen um ihre Identität. Dazu einige Titel: „Das Ende der Männer“, „Das entehrte Geschlecht“, „Wozu sind Männer eigentlich überhaupt noch gut?“. Es kommt noch steiler: „Warum Frauen nichts falsch und Männer nichts richtig machen können.“ „Der dressierte Mann“. „Schuld sind immer die anderen. Die Nachwehen des Feminismus. Frustrierte Frauen und schweigende Männer.“ Fünf dieser sechs Titel stammen aus der Feder von Frauen.
Es soll wieder anders kommen. Das geschwächte Geschlecht hat sich aufgemacht, seine Ehre wiederherzustellen. „Männersache. Das rettet unsere Söhne. Das starke Geschlecht kommt zurück.“ „Männlichkeit leben. Die Stärkung des Maskulinen.“ „Männerseelen. Ein psychologischer Reiseführer.“ „So wird ein Mann ein Mann! Wie Männer wieder Freude am Mann-Sein haben.“
Der Notstand der Männer akzentuiert sich an der Frage: Wie ziehen wir die nächste Generation von Männern heran? Psychologen und Soziologen sind sich einig: Es herrscht Jungen-Erziehungs-Notstand. Schulen und Kirchgemeinden sind feminisiert. Die Analyse beunruhigt, darüber herrscht Konsens. Nun stellt sich jedoch die Frage: Wie lotsen wir unseren Nachwuchs an den Auswüchsen der virtuellen Welt, der Entscheidungsunfähigkeit, der Dauerbefeuerung durch sexuelle Reize vorbei?
Jeder Blick auf die Welt ist von drei Fragen getragen: Einem Ideal (Männer sind mutig und inszenieren sich), einer Störung dieses Ideals (sie sind durch Dressur geschwächt) und einer Vorstellung, wie diese Störung behoben werden kann. Ich bin dankbar, mich diesen drei Fragen aus der Sicht biblischer Offenbarung zu stellen. Dies geschieht nicht als gedankliches Experiment, sondern mit existenzieller Betroffenheit. Als Vater von fünf Jungs erwache ich schon mal nachts über der Frage, wie unsere Söhne zu echten Männern heranreifen können.
Mein Vorgehen entspricht dem Dreischritt des christlichen Glaubens (in Anlehnung an den 1563 entstandenen Heidelberger Katechismus, Frage und Antwort 2):
- Erkennen, woher unsere Not und unser Elend stammt
- in Erfahrung bringen, wer aus dieser Not befreien kann
- ein Leben in Dankbarkeit zu führen, was Charakterveränderung mit sich bringt
Wer den ersten Schritt auslässt, steht in Gefahr, die Ursachen am falschen Ort zu suchen. Dann müssen Schuldige gefunden werden (Relativismus). Wer den zweiten Schritt vernachlässigt, versucht durch eigene Anstrengung eine Besserung zu erzielen (Moralismus). Wer nach dem zweiten Schritt aufhört, verfehlt es, die Kraft der christlichen Botschaft mit der konkreten Lebenssituation zu verknüpfen.[2]
Die Diagnose: Ethischer Relativismus
Wir vollziehen die drei Schritte anhand des biblischen Buches Ruth nach. Dieses Buch verstehen wir erst dann richtig, wenn wir dem ersten Halbsatz eingehend Beachtung geschenkt haben: „Und es geschah in den Tagen, als die Richter regierten…“ (Ruth 1,1). Diese Information rahmt die gesamte Botschaft des Buches ein. Es zeigt uns, auf welchem gesellschaftlichen und geistlichen Hintergrund das Geschehen eingeordnet werden muss. Um zu erfahren, wie es war, als die Richter regierten – also den rund 300 Jahren zwischen dem Einzug ins Land und dem Auftritt des ersten Königs Saul – können wir uns die letzten fünf Kapitel des Richterbuches anschauen. Diese klären uns über die geistliche Situation des Volkes auf.
Richter 17 beginnt mit dem Einblick in das Leben einer Familie aus dem Gebirge Ephraims, einem Haushalt wie vielen anderen. Ein Sohn stiehlt seiner Mutter eine beträchtliche Summe Geld. Er verheimlicht diesen Diebstahl, gesteht ihn der Mutter aber nach einer Zeit. Diese preist ihn glücklich und weiht einen Teilbetrag Jahwe, um einen Hausgötzen daraus produzieren zu lassen. Die Mutter finanziert, der Sohn produziert, der Enkel wird Hauspriester. Die zehn Gebote werden systematisch missachtet.
Es geht weiter mit der Geschichte eines Stammes (Richter 18). Der Stamm Dan hatte es verpasst, sein Erbteil in Besitz zu nehmen und wurde von seinen Feinden ins Gebirge zurückgedrängt (Richter 1,34). Nun musste ein neuer Wohnort gefunden werden. Der Stamm wählte dabei den Weg des geringsten Widerstands. Dadurch, dass ihr Unternehmen erstaunlich reibungslos verlief, wähnten sie sich im Segenskanal Gottes. Pikantes Detail: Der Hauspriester aus dem Gebirge Ephraims erhielt vom Stamm Dan ein neues Stellenangebot. Samt Hausgötzen wurde er in das eroberte Gebiet geführt und zum Stammespriester gekürt. Beim Leviten handelte es sich wahrscheinlich um einen Enkel Moses (Richter 18,31)!
Was bei der Geschichte eines Einzelnen begonnen und bei einem Stamm seine Fortsetzung gefunden hatte, spielte sich auch Stamm-übergreifend ab. Viermal setzt der Schreiber den wichtigen Marker: Es gab damals keinen König. Zweimal wird hinzugefügt: Jeder tat, was in seinen Augen recht war. (Richter 17,6; 18,1; 19,1; 21,23)
Ein weiterer Levit kommt ins Blickfeld (Richter 19). Er holt seine Nebenfrau zurück, die ihm untreu geworden war. Auf dem Rückweg reist er durch das Stammesgebiet von Benjamin. Um zu übernachten, betritt er eine einheimische Stadt. Mit Mühe und Not findet der Fremde eine Bleibe bei einem betagten Mann. Nicht nur wird das Gesetz der Gastfreundschaft grob missachtet; der Pöbel der Stadt klopft nachts an die Türe und will den Besucher vergewaltigen! Der Gast gibt ihnen seine Nebenfrau heraus, welche die ganze Nacht misshandelt wird. Morgens schneidet der Levit seine (offenbar tote) Frau in Stücke und sendet sie in alle Stämme.
Geld, Wohnort, Sex – und am Schluss Krieg. Bruderkrieg. Der Stamm Benjamin wird dabei fast ausgerottet. Doch auch die übrigen Stämme werden empfindlich gedemütigt. Eine schauerliche Geschichte (Richter 20-21). Wir stellen fest:
- Das Verhalten Einzelner beeinflusst das gesamte Volk. Sünde hat immer soziale Konsequenzen!
- Es betrifft alle Lebensbereiche.
- Besonders die Schwächsten leiden darunter.
Die wichtigste Frage ist jedoch die nach der Ursache: Weshalb spielt sich dies alles ab? Die Antwort lautet eindeutig: Jeder tat, was recht war in seinen Augen. Mit anderen Worten: Es ist der ethische Relativismus. Jeder nimmt Maß an sich selbst und den eigenen Begierden. Projizieren wir diese Diagnose zurück in unsere eigene Zeit. Bezüglich Gestaltung von Beziehungen, also dem Verhältnis zwischen Mann und Frau aber auch dem Verständnis, was Männlichkeit und Weiblichkeit ausmacht, herrscht ein heil-loses Durcheinander. Weshalb? Weil der gesamte Bereich in die Beurteilung des Einzelnen fällt. Jeder macht das, was in seinen eigenen Augen recht ist. Das Dogma, dem wir uns verschrieben haben, ist der moralische Relativismus.
Die Geschlechterkonfusion nimmt zu. Die gleichgeschlechtliche Ehe und die Adoption von Kindern durch solche Paare entsprechen dem gesellschaftlichen Konsens. Es stehen bereits nächste Tagesordnungspunkte wie die Vielehe im Raum. Wir führen hier keine Debatte über Sexualethik. Es geht um das Grundproblem des Männer-Notstands. Wenn der Mensch sich selbst zum Maßstab nimmt, ist das die unsicherste Angelegenheit, die es geben kann. Beachtenswert ist auch, dass der Mensch nicht ohne Gesetz auskommen kann. Wo ein übergeordnetes moralisches Gesetz wegbricht, schafft der Staat am laufenden Band neue Bestimmungen, mit denen ein kollektiver Konsens herbeigeführt werden soll. Wer sich für objektive Normen stark macht und sie im Alltag lebt, der erlebt zunehmend rauen Gegenwind. Das ist nicht nur heute so, es war schon zur Zeit der Richter Alltag.
Nächste Woche beschäftigen wir uns mit der Lösung.
[1] 20Minuten vom 20.08.2015.
[2] Siehe mein Aufsatz: Drei Dinge, die du wissen musst. Die tragenden Balken unseres Glaubens. (23.08.2015).
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