Heiligung und Rechenschaft – Teil 2

von Benjamin Tom
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Bei der Rechenschaft geht es nicht darum, irgendwie engstirnig oder verbissen zu werden. Eine gesunde und authentische Gemeinschaft bedeutet für mich, dass man einerseits locker miteinander umgehen kann und Witz und Späßchen nicht zu kurz kommen. Auf der anderen Seite ist man aber auch tief miteinander unterwegs, streckt sich zielgerichtet nach Wachstum aus und das geht sehr gut durch Rechenschaft.

Jeder von uns hat geistliche Themen, die ihn gerade beschäftigen. Jeder von uns geht durch Wachstumsprozesse und lernt dabei dazu. Wir sollten viel mehr beginnen, uns darüber auszutauschen, was wir gerade dabei sind zu lernen und so voneinander profitieren.

Wir werden im NT an vielen Stellen aufgefordert, aufeinander Acht zu haben, einander zu erbauen, zu ermahnen, zu ermutigen, zu trösten. Der Sonntagsgottesdienst ist dabei nur eingeschränkt ein geeigneter Ort, denn hier redet meistens nur einer und alle anderen hören zu. Ich glaube, wir können im Gemeindeleben viel Input bekommen, wir können über Bibeltexte diskutieren und viele gute Sachen mehr, aber wo ist der Ort, wo das Ganze persönlich wird? Gibt es Orte der Rechenschaft bei dir, z.B. in der Gemeinde, wo du zielgerichtet und persönlich erbaut wirst und andere Geschwister erbaust? In Hebräer 3,13 steht: „…ermuntert einander jeden Tag, solange es ´heute´ heißt, damit niemand von euch verhärtet werde durch Betrug der Sünde!“ Ermutigen, das ist ein Job, den wir nicht nur dem Pastor auferlegen können. Es heißt ja hier nicht: Der Pastor ermuntert alle, sondern wir sollen einander ermutigen. In Galater 6,2 heißt es auch nicht: Und der Pastor trägt die Lasten aller, sondern Einer trage des Anderen Last.

Vor einigen Tagen kam folgende Überlegung in meine Gedanken: Was wäre eigentlich, wenn jemand in der Gemeinde die Treppe herunterfallen würde? Sehr wahrscheinlich wären dann gleich ganz viele Leute zur Stelle und würden derjenigen Person rasch aufhelfen, vielleicht einen Arzt holen, sodass diese Person möglichst schnell wieder ok ist.

Was ist aber eigentlich, wenn ein Bruder oder eine Schwester in der Gemeinde geistlich gesehen die Treppe heruntergefallen ist? Nehmen wir das überhaupt wahr? Sehr oft leider nicht! Wie können wir ihm oder ihr helfen, wenn wir gar nicht wissen, was in diesem Menschen vorgeht? Natürlich hat prinzipiell jeder die Möglichkeit, „professionelle“ seelsorgerliche Hilfe beim Pastor in Anspruch zu nehmen – aber ist das so wirklich die Idee von Gemeinde, die Jesus im Herzen hat? Sind wir nicht viel mehr dazu aufgefordert, einander weiterzuhelfen?

Natürlich geht es nicht darum, jetzt jedem Mitglied aus der Gemeinde mein ganzes Herz auszuschütten. Das ist überhaupt nicht die Idee. Tiefergehende Probleme sind sowieso eher in der Seelsorge anzusiedeln. Wie bereits erwähnt, ist Rechenschaft auch förderungsorientiert, aber dazu braucht es Offenheit. Offenheit fällt nicht leicht, Offenheit muss erarbeitet werden, Offenheit kann niemandem aufgezwungen werden, das ist eine Freiwilligkeit.

Hier ein persönliches Erlebnis, welches mir die Kraft Gottes durch Rechenschaft bewusst gemacht hat: Ich erinnere mich da einige Jahre zurück. Aus einem Jugendhauskreis, der am Absterben war, ist ein pulverfassartiger Konflikt entstanden. Dieser Konflikt hat das Jugend-Mitarbeiterteam meiner Gemeinde und einige andere Leute mehr als 1 Jahr lang beschäftigt. Es war damals so, dass sich 2 Lager gebildet haben, die über verschiedene Fragen unterschiedlicher Meinung waren. Auch wenn ich eigentlich ein sehr harmoniebedürftiger Mensch bin, mischte ich als leitender Mitarbeiter recht engagiert mit. Sicherlich war da ein gewisser heiliger und geistlicher Eifer mit im Spiel und doch schwingen dabei leider schnell auch fleischliche Regungen mit. Das muss ich im Nachhinein für mich so feststellen.

Alle Beteiligten waren mit der Situation sichtlich unzufrieden und haben sich vom anderen Lager mehr Einsicht gewünscht. Wir versuchten Schritte aufeinander zuzugehen, es gab Einzelgespräche, Gruppengespräche u.v.m. Sicherlich hat das zu mancher Annäherung geführt, aber so richtig entscheidend vorwärts ging es nicht.

So kam der Konflikt dann ein wenig zur Ruhe, was keine wirkliche Lösung war. Ich würde die ganze Situation vielleicht mit einem Verletzten vergleichen, bei dem die Wunde bestmöglich versorgt wurde, aber der Heilungsprozess nicht so richtig starten will.

Einige Monate später fuhr ich dann mit auf eine christliche Freizeit. Nach der ersten Abendveranstaltung bin ich mit einer jungen Frau zwanglos ins Gespräch gekommen. Nachdem wir unsere Bekehrungsgeschichten ausgetauscht hatten, kamen wir auch irgendwann zu der Frage, wie es mir denn geistlich eigentlich momentan so geht. Da hat es nicht lange gedauert, bis ich begann von unserer Jugend und der Situation im Mitarbeiter-Team aus meiner Perspektive zu erzählen. Nachdem ich einiges berichtet hatte, stellte sie mir eine Frage, die mein Leben für immer verändert hat. Sie fragte mich in etwa: „Warum bist du eigentlich wütend auf die Leute, die anders denken als du?“ Wow, diese Frage hat bei mir geistlich eingeschlagen! Nach einigen Momenten des ratlosen Nachdenkens antwortete ich in etwa: „Ich weiß es auch nicht wirklich. Die einzig gültige Motivation wäre, dass ich in völliger Übereinstimmung mit Gottes Wort von Liebe motiviert bin, aber ich muss leider feststellen, dass das nicht der Fall ist.“ Damit war für mich der gordische Knoten unseres Konfliktes gesprengt! Nach Wochen und Monaten des inneren Haderns, des Nachdenkens, Diskutierens, der Verständnislosigkeit gebrauchte Gott eine ganz kurze und banale Frage, um mich von meiner Lieblosigkeit zu überführen.

Gott hatte an diesem Wochenende und danach auf übernatürliche Weise sehr stark in meinem Herzen gewirkt. Ich konnte einige Wochen später auf die Leute im Mitarbeiter-Team zugehen, gegenüber denen sich eine gewisse Härte im Herzen angestaut hatte. Es war für mich selbst verwunderlich von dem zu erzählen, was Gott bei mir getan hatte, denn ich hätte es nie für möglich gehalten. So konnten wir den Konflikt auf persönlicher Ebene per Vergebung niederlegen.

Rechenschaft hat für mich aber nicht nur eine problembehaftete Dimension. Rechenschaft, das sich füreinander Öffnen, setzt auch beim persönlichen geistlichen Vorwärtskommen an.

Was meine ich damit? Wir Menschen werden in diese Welt hineingeboren und können erstmal so ziemlich gar nichts. Alles, von Sprechen über Schuhe binden bis zur höheren Mathematik, müssen wir erlernen. Wir tun das im Wesentlichen, indem wir uns Dinge von unseren Mitmenschen abschauen, sie uns etwas erklären und wir das dann nachmachen.

In der Bibel wird unser geistlicher Werdegang mit dem eines aufwachsenden physischen Menschen verglichen (1. Petr 2,2; 1. Joh 2,12-17). Wie wir in der physischen Welt Dinge dadurch lernen, dass uns jemand ein Beispiel gibt (z.B. wie man spricht, wie man Schuhe bindet, wie man Mathematikaufgaben rechnet…), so lernen wir auch im geistlichen Bereich, wie man als Jünger Jesu und als Kind Gottes lebt. Die Herausforderung hierbei ist: Jesus Christus ist für unsere physischen Augen nicht sichtbar. Wir können in der Bibel nachlesen, wie Er mit Menschen umgegangen ist und trotzdem brauchen wir auch oft sichtbar eine Idee davon, wie wir das praktisch selbst umsetzen können in unserem jeweiligen Lebenskontext.

Die Jünger hatten noch das vorgelebte direkte Beispiel vom Herrn selbst, siehe Johannes 13,15. Wir haben dieses greifbare Beispiel von Jesus in physischer Menschenperson heute nicht mehr, wo wir uns direkt Dinge von Jesus abschauen können. Wir leben in einer Zeit, wo das geistliche Abschauen und Lernen dadurch geschieht, dass Jesus in jedem Gläubigen wohnt und sich in dessen Verhalten ausdrückt. Wir dürfen – natürlich in dem Bewusstsein, dass jeder fehlbar ist – unsere Brüder und Schwestern beobachten und uns von ihnen abschauen, wie man als Jünger lebt. Wie lebt derjenige seine Beziehung zu Gott, wie liest er seine Bibel, wie betet er, wie macht der seine stille Zeit, wie liebt er andere Menschen praktisch, wie erzählt er das Evangelium weiter…? Weil Jesus heute in uns ist, können wir das, was in der Bibel steht, umsetzen und uns so gegenseitig Beispiele geben, wie Jesus in bestimmten Situationen handelt – natürlich ist das immer mit Schwachheit behaftet, aber so können wir voneinander mehr und mehr lernen, wie man sich als Mensch Gottes verhält.

Rechenschaft kann viele Formen haben. Vielleicht ist es für dich dran, dir einen Mentor zu suchen. Du merkst vielleicht, dass es mit deinem Gebetsleben irgendwie nicht richtig funktioniert. Dann kaufe dir vielleicht mal nicht noch ein Buch über das Thema Gebet (ich lese selbst ausgesprochen gerne), sondern halte doch nach Jemandem in deiner Gemeinde Ausschau, der dich anleiten kann. Es gibt mit Sicherheit jemanden, der beim Thema Gebet schon einiges verstanden hat und der mit dir ganz praktische Schritte gehen kann, wie du Jesus im Gebet ähnlicher werden kannst. Jesus hat uns eindrücklich vorgelebt, dass Jüngerschaft weniger damit zu tun hat, die richtigen Bücher zu lesen, als vielmehr in liebevollen, verbindlichen, unterstützenden Beziehungen zu leben.

Rechenschaft kann man auch sehr gut auf Hauskreisebene leben, z.B. indem man sich dort in Zweierschaften aufteilt und nach der Bibelarbeit über die gehörten Botschaften spricht, wie man sie umsetzen will. Eine Form, wie wir alle mit Rechenschaft beginnen könnten, ist, dass wir uns nach jedem Gottesdienst nicht gegenseitig fragen, wie wir die Predigt fanden, sondern was wir daraus mitgenommen haben.

Ich bin überzeugt davon, dass wir durch Rechenschaft mehr und mehr in die Idee Gottes der neutestamentlichen (Heils-)Gemeinschaft, koinonia, hinwachsen können, in welcher der verherrlichte Christus durch unser Leben tiefer und tiefer geehrt wird.

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1 Kommentar

Michael Richter 14. April 2018 - 18:19

Amen, Bruder! Das ist eine sehr gute und treffende, vor allem aber schön persönliche Zusammenfassung des Themas! Die Artikel sind von 2015 – worin wolltest du deinen Master machen? Schieb doch gleich noch ein Bibelstudium hinterher! 😉
So oft habe ich mir schon – leider zu oberflächlich Gedanken dazu gemacht und du fügst die ganzen Puzzleteile „mal eben“ zusammen! Der Heilige Geist wirkt!
Gottes reichen Segen Dir und den Deinen!

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