„Die Verkündigung ist ins Abseits geraten. Die Welt glaubt nicht mehr daran.“ So schrieb der englische Methodistenprediger William Sangster vor gut 60 Jahren. Ende des letzten Jahrtausends wandelte der schottische Pastor Alistair Begg das Zitat leicht ab und behauptete: „Die Verkündigung ist ins Abseits geraten. Die Gemeinde glaubt nicht mehr daran.“
Hat er damit Recht? Hat die Gemeinde Christi das Vertrauen in die Macht der biblischen Verkündigung, in die Macht der geisterfüllten Predigt tatsächlich verloren? Ich lebe noch nicht lang genug und habe zu wenig Geschichtswissen, als dass ich darüber ein sicheres Urteil abzugeben wagen würde – aber ich hoffe, dass Begg im Unrecht liegt. Ich hoffe, dass das Volk Gottes nach wie vor in der Tiefe seines Herzens überzeugt ist von der großen Wirkung des vollmächtigen Reden Gottes durch menschliche Sprachrohre – überzeugt durch den Heiligen Geist selbst.
Und dennoch meine ich behaupten zu können, dass viele Christen gar nicht wissen, was die wesentlichen Elemente biblischer Verkündigung sind. Manchmal erweckt sich mir der Eindruck, als wären geisterfüllte Predigten in vielen Gemeinden Mangelware. Die Gottesdienstbesucher bekommen alles Mögliche vorgesetzt: Vorträge über Selbsthilfe-Strategien, Kommentare zur aktuellen politischen Lage, begeisternde Reden über gesellschaftsrelevante Nachbarschaftsprojekte, moralisierende Ansprachen zu Fragen der Sexualethik, gewissenserleichternde Proklamationen der alles überdeckenden Liebe Gottes, kritische Auseinandersetzungen mit der modernen Bibelkritik oder andere alltagsferne theologische Fragestellungen. Nur eines bekommen sie nicht vorgesetzt: Eine richtige Predigt. Das Problem dabei? Die Leute wissen es selber gar nicht.
Das ist der Grund für diesen Artikel. Wenn wir wollen, dass in unseren Gemeinden die biblische Verkündigung nicht ins Abseits gerät, sondern ihren zentralen Platz behält, dann müssen wir wissen, was eine wahre Predigt ausmacht. Wir müssen wissen, was wir von unseren Pastoren, unseren Ältesten und Predigern zu erwarten haben, wenn wir sonntags in den Gottesdienst gehen. Jeder von uns sollte in der Lage sein, eine „job description“ für den Verkündiger zu erstellen und die Predigt daran zu messen.
Im Folgenden möchte ich deshalb diesbezüglich meinen Vorschlag äußern. Dieser erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit – noch viel mehr könnte gesagt werden. Der Fokus soll stattdessen auf das wichtigste gelegt werden.
„Die größte Aufgabe eines Predigers besteht darin,
Christus zu verkündigen,
um Menschen christusähnlicher zu machen.“
Christus verkündigen…
Diese „job description“ leitet sich ab von Kolosser 1,24-29. Wir wollen uns einzelne Verse dieses Abschnitts genauer anschauen.
„[Ich bin ein Diener der Gemeinde] geworden gemäß der Haushalterschaft, die mir von Gott für euch gegeben ist, daß ich das Wort Gottes voll ausrichten soll,“ so schreibt Paulus in Vers 25.
Paulus selbst versteht die Hauptaufgabe seines Jobs also darin, das Wort Gottes in seiner Vollständigkeit zu verkündigen. Das Bemerkenswerte daran ist, dass der Inhalt seiner Botschaft somit schon feststeht. Er muss nicht erst kreativ werden und was Spannendes erfinden. Im Gegenteil: Er nimmt das Wort Gottes, so wie es schon existiert (zu seiner Zeit logischerweise nur das Alte Testament) und erklärt es den Leuten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger: Das volle, ganze Wort Gottes – seinen ganzen Ratschluss. Nichts wird von Paulus verheimlicht und nichts hinzugedichtet. Denn er weiß, dass er – wenn er wirklich das Beste für die Gemeinde will – Gottes Wort predigen muss. Mit all den wunderbaren aber auch den manchmal unangenehmen Stellen, die darin vorkommen. Darin besteht seine Berufung.
Was aber genau ist der Inhalt dieses Wortes Gottes? Was ist der Inhalt der Verkündigung von Paulus? Er selber sagt, dass dieser Inhalt früher ein Geheimnis war, durch den Willen Gottes nun aber in der ganzen Welt bekannt gemacht werden soll. Von welchem Geheimnis redet er? Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen: „[…] Der Reichtum der Herrlichkeit dieses Geheimnisses unter den Heiden ist […]: Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit.” (Kol 1,27)
Laut Paulus ist der Schlüssel zum Knacken dieses Geheimnisses, so wie es schon im Alten Testament angekündigt ist: Jesus Christus. In ihm und durch ihn wird die Schatztruhe geöffnet und der Reichtum an Herrlichkeit für alle Nationen – sogar für uns Heiden – zugänglich. Wenn Paulus also das Alte Testament lehrte, sprach er nicht bloß über historische Ereignisse, er sprach nicht bloß über die Geschichte Gottes mit seinem Volk, sondern er verknüpfte diese Inhalte immer mit einer Person: Wenn Paulus predigte, dann verkündigte er Christus!
Und in diesem Beispiel sollte jeder Prediger Paulus folgen. Denn Christus ist der Höhe- und Mittelpunkt der ganzen Schrift und deshalb aller wahren Verkündigung.
ER ist der Widder neben Abrahams Altar im Buch Genesis
das Passalamm in Exodus,
der Hohepriester in Levitikus
und die Wolke bei Tag sowie die Feuersäule bei Nacht in Numeri.
Er ist der große Prophet in Deuteronomium,
der siegreiche Heerführer in Josua,
der fehlende König im Buch Richter,
und der Erretter unserer Angehörigen in Ruth.
Er ist der verlässliche Prophet in den Büchern Samuel,
der Herr aller Herren in den Königsbüchern und Chroniken
der treue Schriftgelehrte im Buch Esra,
und der Errichter unserer niedergerissenen Lebensmauern in Nehemia.
Er ist der mutige Fürsprecher für sein Volk in Esther,
der ewige lebende Erlöser im Buch Hiob,
der gute Hirte in den Psalmen,
die Weisheit Gottes in den Sprüchen
und der Sinn des Lebens im Buch Prediger.
Er ist der perfekte Liebhaber und Bräutigam im Hohenlied,
der leidende Gottesknecht in Jesaja,
der gerechte Spross in Jeremia,
der weinende Prophet in den Klageliedern
und der perfekte Tempel in Hesekiel.
Er ist der mächtige Menschensohn in Daniel,
der ständig betrogene und doch immer wieder vergebende Ehemann in Hosea
und derjenige, der uns in Joel mit dem Heiligen Geist tauft.
Er ist der Träger all unserer Lasten in Amos,
unser einziger Erlöser in Obadja,
unsere Auferstehung in Jona
und der Richter der Nationen in Micha.
Er ist der furchtbare Rächer in Nahum.
der Gott unseres Heils in Habakuk,
und der jubelnde Erretter in Zefanja.
Er ist der erwählte Siegelring Gottes in Haggai,
der auf einem Esel reitende König in Sacharja
und die Sonne der Gerechtigkeit in Maleachi.
Der Dienst eines wahren Verkündigers lässt sich zusammenfassen in drei Worten, die wir am Anfang von Kolosser 1, Vers 28 finden: „Ihn verkündigen wir.“ Liebe Brüder, die ihr auch öfter auf der Kanzel steht, deshalb gilt: Wenn wir predigen, ohne Christus zu predigen, dann haben wir unsere Berufung verfehlt. Wir können noch so viele schöne Worte machen – wenn wir nicht Christus verkündigen, sollten wir unseren Mund lieber erst gar nicht aufmachen. Und wenn wir zwar über Jesus reden, aber nicht über seinen stellvertretenden Tod, dann haben wir wiederum das Wesentliche vergessen. Deshalb: Lasst uns den Entschluss fassen, so wie Paulus ihn gefasst hat, nichts anderes zu wissen, als Christus und ihn als Gekreuzigten (1. Kor 2,2).
…um Menschen christusähnlicher zu machen
Warum aber ist es die Aufgabe eines Predigers, Christus zu verkündigen? Nun, weil nur solch eine Verkündigung in der Lage ist, Menschen ein Stückchen näher zu dem Ziel zu bringen, für das sie geschaffen wurden: Dem Ebenbild des Sohnes Gottes, Jesus Christus selbst, gleichgestaltet zu werden.
Unsere Bestimmung als Christen ist es, immer mehr in dieses Ebenbild Christi hineinzuwachsen. Dieser ständige Prozess der sogenannten Heiligung geht jedoch nicht automatisch von statten. Es braucht dazu die Predigt. Deshalb schreibt Paulus in Vers 28: „Ihn verkündigen wir […] um jeden Menschen vollkommen in Christus Jesus darzustellen.
Paulus hatte bei seinen Predigten ein klares Ziel vor Augen: Die Menschen sollten Christus ähnlicher werden. Sie sollten Tag für Tag in ihrer Heiligkeit wachsen. Notwendige Voraussetzung dafür war jedoch, ihnen Christus vor Augen zu malen. Denn nur wenn wir die Herrlichkeit des Herrn unverhüllt so sehen können, wie Gott sie uns in seinem Wort offenbart, dann werden wir „verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, nämlich vom Geist des Herrn.“ (1. Kor 3,18)
Und eines Tages werden wir diese Verwandlung in der Herrlichkeit Gottes vollkommen abschließen. Dann werden wir so sein wie Christus: „Geliebte, wir sind jetzt Kinder Gottes, und noch ist nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen aber, daß wir ihm gleichgestaltet sein werden, wenn er offenbar werden wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ (1. Joh 3,2)
Bis es soweit ist, gilt: Um Menschen christusähnlicher zu machen, muss Christus verkündigt werden. Das ist die größte Aufgabe eines jeden wahren Predigers. Lasst uns dafür beten, dass es in unseren Gemeinden immer mehr passiert.
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