Der Ruf aus der Wüste, der Zeitgeist und du – Teil 3

von Hanniel Strebel
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Hanniel Strebel hat drei Bücher besprochen, die sich mit der Lage des westlichen Christentums befassen. Inhaltlich geht es um Relativismus, Wahrheit, Gottes Wort und die Gemeinde. Style ohne Substanz trägt nicht. Die dreiteilige Reihe zeigt warum.

D. A. Carson – Emerging Church: Kritik einer Gegenwartsbewegung

Die Wogen, die dieses Buch bei der Herausgabe 2005 zumindest in einigen Blogs geworfen hatte, ist längst abgeebbt. 2008 wurde es in die deutsche Sprache übersetzt und hat sich bereits seinen Platz als „Klassiker“ einer kritischen Auseinandersetzung mit der Emergenten Bewegung etabliert. Im deutschen Sprachraum gilt es als die bislang einzige Kritik in dieser Tiefe. Das Buch steht in einer Reihe von Publikationen, die sich mit aktuellen Fragen der Gegenwartskultur beschäftigen. Dazu gehören „The Gagging of God“, „Christ and Culture Revisited” und „The Intolerance of Tolerance“.

D. A. Carson (*1946) ist ein renommierter kanadischer Neutestamentler. Er versieht seit Jahrzehnten einen weltweiten Dienst. Gelegentlich bezieht er sich auch in diesem Buch auf seine Beobachtungen, die er in allen Kontinenten gemacht hat. Er gilt nicht nur als einer der weltweit führenden Exegeten und Bibelkommentatoren, sondern verfügt auch über ein feines Gespür für gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen. Eine pointierte Analyse eines Filmes ist bei ihm ebenso zu bekommen wie die Analyse komplexer Fragestellungen. Wer ihn schon reden gehört hat, weiß um seine sprachliche Eloquenz, seinen Sinn für Struktur, aber auch um den Umfang seiner Aussagen. Sein Research-Assistent, Andy Naselli, hat eine profunde Abhandlung über seine theologische Methode geschrieben  und auch eine Bibliografie zusammengestellt

Darstellung der Bewegung

Wie ist das Buch aufgebaut? Carson beginnt mit einer kurzen Darstellung der Bewegung. Grundlage dafür bilden die von Mike Yaconelli verfassten Portraits in „Stories of Emergence: Moving from Absolute to Authentic“.

Stärken der Bewegung

Im nächsten Kapitel nennt Carson einige Stärken der Bewegung: Das Bemühen um eine ehrliche Analyse unserer Zeit, das Drängen auf Echtheit, das Erkennen unserer eigenen sozialen Verantwortung sowie das starke Interesse, Menschen außerhalb des herkömmlichen Wirkungsgebietes von christlichen Gemeinden zu erreichen.

Schwächen der Bewegung

Dem folgt eine Analyse der Schwächen im Beurteilen der sogenannten „Moderne“. Nach Carsons Ansicht werden nur einzelne Elemente der Moderne berücksichtigt und insgesamt ein lebensfremdes Bild gezeichnet. Das konfessionelle Christentum wird pauschal verurteilt. Damit einher geht eine theologisch zu oberflächliche und von ihrem Sachzusammenhang her ungenügende Argumentation. Das zeigt sich beispielsweise beim Toleranzbegriff:

Somit erheben Vertreter der Postmoderne dort, wo sie mit niemandem uneins sind, den Anspruch, tolerant zu sein (was unlogisch ist). Dagegen erweisen sie sich in dem einen Hauptbereich, wo sie anderen (nämlich den Repräsentanten der Moderne) energisch widersprechen, als intolerant. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie ihre von der Moderne geprägten Gegner als intolerant bezeichnen, selbst wenn diese lediglich das Recht einfordern, auf höfliche Weise ihre Nichtübereinstimmung mit Haltungen zu bekunden, die ihrer Ansicht nach völlig verkehrt sind.

S. 96

Ebenso stellt Carson Schwachstellen beim Beurteilen der sog. „Postmoderne“ fest. Hängen geblieben ist mir ein Zitat von Greg Gilbert. Er schrieb angesichts der apokalyptischen Beschwörung von „Änderungen von noch nie da gewesener Art“:

Ich habe es satt, immer wieder erzählt zu bekommen, dass wir etwas Derartiges noch nie erlebt haben. Ich habe genug von all diesen Aufregung stiftenden Autoren, die einander mit ihren Beschreibungen globaler Veränderungen im Sinne beispielloser Umwälzungen zu überbieten suchen.

S. 107

Darstellung der Erkenntnistheorie

Eine der hilfreichsten Abschnitte ist die Darstellung der modernen bzw. postmodernen Erkenntnistheorie aus der Optik Carsons (S. 120-174; ich habe hier die wesentlichen Elemente zusammengestellt). Carson differenziert sauber zwischen der Erkenntnistheorie an sich sowie begleitenden Elementen (Religionsvermischung, biblisches Analphabetentum, Säkularisierung und verwischte Grenzen beim Thema „Geistliches Leben“). Er gibt zudem drei wichtige Instrumente an die Hand: Die Verschmelzung der Verstehenshorizonte (wie man das Denken eines anderen Menschen zwar nicht vollkommen, aber weitgehend verstehen kann), die hermeneutische Spirale (spiralförmige Annäherung an einen Untersuchungsgegenstand) sowie den asymptotischen Ansatz  (Annäherung an die Realität, aber nie vollkommenes Wissen).

Kritik an der Reaktion auf die Postmoderne

Erst dann  lässt sich Carson auf die Kritik der Reaktion der EmCh auf die Postmoderne ein. Ein zentrales Argument lautet: Sie schätzt die Bedeutung von Wahrheitsansprüchen außerhalb der Kategorie der Allwissenheit falsch ein. In Bezug auf die christlichen Glaubensbekenntnisse gibt Carson zu bedenken:

Wenn sich allein die Allwissenheit durch die so geschmähte »Gewissheit« auszeichnet, ist keine Gewissheit möglich. In diesem Fall kann ein »Bekenntnis« nicht das umfassen, was unserer Ansicht nach bekenntnismäßig wahr ist, sondern nur die von uns bevorzugten Sachverhalte. Dies beinhaltet die Position des radikalen Postmodernismus – einer Position, die sich – wie wir gesehen haben – selbst widerlegt. Doch wenn es für uns als Wesen mit endlichem Wissen angemessen ist, »Gewissheit« zu erlangen, kann man nur schwer erkennen, warum sie uns verwehrt bleiben soll – wobei diejenigen, welche die Glaubensbekenntnisse für sich beanspruchen, dazugehören.

S. 211

Zudem wird, so ein weiteres Argument, den schwierigen, wahrheitsbezogenen Fragen ausgewichen, z. B. der Frage nach dem Wahrheitsanspruch der Religionen. Drittens gebraucht sie die Schrift „nicht als maßgebliche Richtschnur gegenüber einer aus verschiedenen Quellen schöpfenden Berufung auf die Tradition“ (S. 195). Viertens geht sie mit der Spannung „werden“ und „dazugehören“ zur christlichen Gemeinschaft nicht auf eine die Bibel ernst nehmende Weise um. Begleitet wird dies von exegetisch und historischen unsauberem Arbeiten. Kein Wunder, dass diese Argumente zu reden gaben, denn sie wiegen schwer.

Begründung der Schwächen

Carson schuldet an diesem Punkt noch eine eingehende Begründung dieser Schwächen. Darum legt er im sechsten Kapitel mit einer Analyse zweier Bücher von Brian McLaren und Steve Chalke, zwei führenden Köpfen der Bewegung aus den USA und Großbritannien nach. Dem fügen sich zwei Schlusskapitel an, in denen es um biblische Belegstellen geht. Carson führt jeweils eine Liste von Stellen zu den Begriffen Wahrheit, Erkenntnis und Pluralismus an. Das letzte Kapitel beschäftigt sich in Form einer Predigt über 2. Petrus 1 mit dem Gleichgewicht zwischen Wahrheit und Erfahrung.

Eine Idee Carsons nehme ich für mein eigenes Bibelstudium mit:

Ich liste diejenigen Abschnitte und Themen auf, die mir (angesichts meiner eigenen kulturellen Verortung) so großes Unbehagen bereiten, dass ich sie umgehe. Außerdem betone ich fortwährend, was diese Abschnitte nicht bedeuten können, sodass ich nie dahin komme, ihre tatsächliche Bedeutung zu erklären und anzuwenden. Ich muss mich wiederholt sowie ohne Wenn und Aber dafür entscheiden, weil ich sonst anfange auszuweichen. Durch diese Übung lässt sich mit am sichersten die Unausgewogenheit theologischer Extrempositionen abmildern. Sie gehört zu den wichtigsten Übungen, die gewährleisten, dass ich mich bestmöglich bemühe, aufgrund der Gnade Gottes unter dem Wort zu bleiben, statt es im Dienste des Zeitgeistes zurechtstutzen zu wollen.

S. 298

Schnee von gestern?

Beobachter gehen davon aus, dass die Blütezeit dieser Bewegung bereits vorbei ist und sie von der Bildfläche verschwindet (zu einer kurzen Einführung von Ron Kubsch aus dem Jahr 2008 geht es hier). Nach meiner Einschätzung machen sich die Gedanken dieser „post-evangelikalen Avantgarde“ erst jetzt so richtig bemerkbar. Das hat damit zu tun, dass viele Gedanken ihren Platz in neueren Publikationen gefunden haben. Junge Theologen und Bibelschulabsolventen sie von ihrer Ausbildung her mittragen – ich befürchte ohne  die nötige kritische Reflektion. Ich empfehle darum sowohl Absolventen von theologischen Ausbildungsstätten wie auch Gemeindeleitungen das Buch zur Lektüre. Über Strecken fand ich den Stil etwas langatmig. Das mag damit zu tun haben, dass das Buch auf Vorträgen beruht. Dies wird durch die sorgfältige Argumentation Carsons jedoch mehr als aufgewogen.

Das Buch könnt ihr hier bestellen: Donald A. Carson. Emerging Church. Abschied von der biblischen Lehre? CLV: Bielefeld, 2008.

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1 Kommentar

Buchbesprechung: Eine verständliche Einführung in die postmoderne Erkenntnistheorie und deren Einfluss auf die evangelikale Welt | Hanniel bloggt. 20. März 2014 - 08:45

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