14 Die Jünger hatten vergessen, Brot mitzunehmen; nur ein einziges Brot hatten sie bei sich im Boot. 15 „Nehmt euch in Acht!“, schärfte Jesus ihnen ein. „Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und vor dem Sauerteig des Herodes!“ 16 Da machten sie sich untereinander Gedanken darüber, dass sie kein Brot bei sich hatten. 17 Als Jesus merkte, was sie beschäftigte, sagte er: „Warum macht ihr euch Gedanken darüber, dass ihr kein Brot habt? Versteht ihr immer noch nichts? Begreift ihr denn gar nicht? Sind eure Herzen so verschlossen? 18 Ihr habt doch Augen – könnt ihr nicht sehen? Ihr habt doch Ohren – könnt ihr nicht hören? Erinnert ihr euch nicht daran, 19 wie ich die fünf Brote für die Fünftausend in Stücke brach? Wie viele Körbe voller Reste habt ihr damals aufgesammelt?“ – „Zwölf“, antworteten sie. 20 „Und als ich die sieben Brote für die Viertausend in Stücke brach, wie viele Körbe voller Reste habt ihr da aufgesammelt?“ – „Sieben“, antworteten sie. 21 Da sagte er zu ihnen: „Begreift ihr immer noch nichts?“
Markus 8,14-21
Raphael Schuster – Über unausweichliches Scheitern und ein gutes Ende – Markus 8,14-21 (64kbps mp3)
In einem in den letzten Jahren erschienen, spannenden Thriller geht es um die Entführung einer U-Bahn. Eine bestimmte Bahn wird dort besetzt, um ein Lösegeld zu erpressen. Im Verlauf der ganzen Aktion entsteht notwendigerweise eine Beziehung zwischen dem Entführer und einem schlichten Fahrdienstleiter, der die Bahnfahrer über ihre Fahrpläne und Streckenänderungen informiert. Diese beiden bauen also unfreiwillig eine Beziehung auf, bis der besagte Fahrdienstleister dann den Fahrer der Entführer ersetzen muss, der erschossen wurde. Außerdem muss er das geforderte Lösegeld überreichen. Kurz bevor er zum ultimativen Höhepunkt in die U-Bahntunnel aufbricht, macht er was? Er ruft natürlich seine Frau an, um ihr von seiner Mission zu erzählen und erhofft sich Ermutigung.
Und jetzt der Hammer: Was sagt ihm seine Frau in dieser Situation? Er soll, wenn er nach Hause kommt zwei Päckchen Milch mitbringen!
Wenn man das hört, fragt man sich was da los ist! Wo lebt die denn? Oder wie unsere Deutschlehrerin gesagt hat, wenn man den Unterricht gestört hat: Was bist’n du für äner?
Und damit sind wir schon mitten in unserem Predigttext angekommen … mitten in einer verrückten und ironischen Situation, in der Jesus, zwar mit Sicherheit nicht so flapsig, aber wahrscheinlich ähnlich gedacht hat: Was sind denn das für welche? Wenn man liest, was hier abgeht, könnte man denken die Jünger und Jesus sitzen in zwei verschiedenen Booten, kommen aus verschiedenen Orten und fahren an unterschiedliche Ziele:
- Jesus kommt aus der Synagoge und steckt in Gedanken noch tief in den dortigen Gesprächen, ist traurig und zornig über die unverständigen und ungläubigen Reaktionen der Pharisäer …
- … die Jünger hingegen kommen vom gemeinsamen Einkaufsbummel: sie waren beim Fleischer, Petrus, Andreas, Jakobus und Johannes haben sich mit den Fischern im Ort unterhalten, während die anderen beim Bäcker den Sonntagnachmittagskuchen geholt haben … und …
- … dabei vergessen haben, Brot mitzunehmen. Nur Thomas hat noch ein Brötchen von vorgestern …
- Tja, … und jetzt müssen sie klären wer von ihnen daran eigentlich Schuld ist …
- … zwischendurch streut ein anderer, der noch im Boot sitzt – Jesus – das Wort „Sauerteig“ mit in die Diskussionsrunde … ja, stimmt, ein Sauerteigbrot hätte man auch noch mitnehmen sollen …
- Aber wer ist denn nun Schuld an den vergessenen Broten – und was ist mit Aufstrich, fragt Judas? …
Was hier los ist!? Ja, was ist hier eigentlich los? Hier treffen zwei Gruppen aus völlig verschiedenen Welten aufeinander. Wie die Frau des armen Kerls, der im Thriller zwischen die Fronten geraten ist, welche kurz vor der möglichen Erschießung ihres Mannes durch die Entführer daran erinnert, dass die Milch im Haushalt alle ist.
Eine ähnliche Situation spielt sich doch auch jeden Sonntagmorgen ab. Jeder kommt aus seiner eigenen Welt in den Gottesdienst und hat seine eigenen Themen, die ihn beschäftigen, während der Pastor irgendwie versucht, sein Thema rüberzubringen. Damit sind wir also mitten in der Situation des Textes und wollen zur Lösung dieses Wirrwarrs kommen.
Was diese seltsame Situation zuerst einmal darstellt und rüberbringt, ist eine Warnung Jesu an seine Jünger. Soeben haben sie den Unglauben der Pharisäer gesehen. Und schon früher im Evangelium lesen wir auch von Herodes, dem es in erster Linie um seine eigenen Interessen und sein Ansehen ging, als er Johannes ermorden ließ (Mk 6,14ff). Jesus warnt seine Jünger vor der Hartherzigkeit, die hinter diesem Unglauben und Eigenwillen steht. Er fordert sie eindringlich dazu auf, sich vor deren Sauerteig zu hüten. Die beiden aufkommenden Fragen lauten also:
- Was meint Jesus mit dem Sauerteig der Pharisäer und des Herodes?
- Warum bringt er die Jünger damit in Verbindung?
1. Was hat es mit dem Sauerteig auf sich?
Sauerteig enthält eine Lebensgemeinschaft von Milchsäurebakterien und Hefepilzen, die Menschen schon seit mehreren tausend Jahren für die Herstellung von Brot benutzen. Beim Brotbacken setzt man dann dem Teig aus frischem Mehl ein Stück alten, gesäuerten Teig hinzu, das man vom letzten Mal her in Wasser aufbewahrt hat. Dadurch wird der ganze Teig durchsäuert und gelockert, sodass das Brot verdaulicher und haltbarer ist. Diese Wirkung des Sauerteigs wird in der Bibel meistens zum Bild für unauffällige, doch durchdringende bösartige Einflüsse im Menschen.
Die Juden im ersten Jahrhundert verstanden den Sauerteig als einen Hinweis auf die Heiden, die ihre Götzen anbeteten und nicht den Weg der Gebote Gottes gingen. In dem Sinne könnte die Andeutung Jesu vielleicht noch auf Herodes zutreffen. Herodes war als König eher daran interessiert, seine eigenen Interessen zu verfolgen, als seinem Volk und Gott zu dienen. Er schloss Kompromisse mit den Besatzern und Feinden Israels, den Römern. Er war korrupt und verriet sein Volk auf diese Weise. Die Pharisäer demgegenüber waren sehr darauf bedacht, Gottes Gesetze zu halten.
Jesus meint mit Sauerteig aber keine bestimmte Menschengruppe. Er versteht darunter eine unbemerkte, zerstörerische Durchdringung des menschlichen Herzens, die in die Feindschaft gegen Gott führt (vgl. Lk 12,1 – Heuchelei; 1. Kor 5,6-8 – Selbstruhm; Gal 5,9 – Selbstgerechtigkeit).
Die Pharisäer hatten so eine Grundhaltung. Auch wenn das Verhalten der Pharisäer einen gottesfürchtigen Eindruck erweckte – und sich viele davon begeistern ließen –, ist ihre Haltung geprägt von Selbstbezogenheit und Selbstzufriedenheit. Genauso wie Herodes gaben sie vor, etwas zu sein, was sie nicht waren. Sie waren sich sicher, mit Gott im Reinen zu sein, genauso wie mit sich selbst und in ihren übrigen Beziehungen. Dabei ging es ihnen gar nicht um Gott selbst. Sie meinten, Gottes Gebote aus eigener Kraft halten zu können, „ganz und gar auf sich selbst gestellt“ (vgl. Mk 7,1ff). Sie haben nicht verstanden, was Gott mit dem ersten Gebot – „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!“ – will: Gott will, dass wir ihm, und allein ihm, von ganzem Herzen vertrauen. Das bedeutet vor allem, dass wir alles Gute von ihm erwarten, erhoffen und erbeten, anstatt unser Wohl und Glück an Götzen zu hängen.
Außerdem dachten die Pharisäer, dass sie aus ihrer eigenen Weisheit Gott und sich selbst richtig verstehen würden. Es ist interessant, dass das Wort, was hier steht für das Nachdenken und Diskutieren der Jünger, an anderen Stellen meist auf die Pharisäer bezogen wird. Sie machten sich Gedanken und diskutierten, z.B. wenn Jesus dem Kranken, den vier Freunde brachten, seine Sünden vergab. Es geht hier um ein Nachdenken, das versucht, das Rätsel um die Person Jesu selbst zu lösen. Die Pharisäer wollten sich nicht von Jesus sagen lassen, wer er ist, sondern hatten ihre eigenen vorgefertigten Auffassungen über den Messias. Wenn die nicht zutrafen, war jemand eben nicht der Messias.
Obwohl Johannes der Täufer und Jesus sie oft genug ermahnt hatten und sie viele Gelegenheiten besaßen die Wunder Jesu wahrzunehmen, ignorierten sie das. Sie wollten, dass Jesus vor ihren Augen Wunder vollbrachte. Jesus sollte sich gefälligst vor ihnen rechtfertigen und ihrem Urteil unterordnen. Genau darum geht es ja in den vorhergehenden Versen 8,10-13. Die Pharisäer nehmen hier einen festgelegten Standpunkt ein und wollen Jesus aus dieser Perspektive beurteilen. Sie sind nicht bereit, sich kritisch mit ihrem eigenen Standpunkt auseinanderzusetzen. Ihre Entfremdung von Gott, die sich in Unglauben, unmoralischem Verhalten und Abweichung von Jesus zeigt, nehmen Herodes und die Pharisäer überhaupt nicht wahr.
Was bedeutet Sauerteig also? Jesus meint damit eine selbstbestimmte und selbstbezogene Einstellung des Herzens. So ein Mensch nimmt sich selbst – trotz oder gerade wegen aller äußerlichen Frömmigkeit – nicht mehr im Licht Gottes, wie es in Jesus Christus erscheint, wahr. Er versteht das Wort Gottes nicht mehr. Jesus bezeichnet diesen Zustand als blind und taub, weil die eigene Selbst- und Gotteswahrnehmung so verkrustet und verhärtet ist, dass jemand Gottes Wahrheit nicht länger sieht und hört.
Die erste Frage, was es mit dem Sauerteig auf sich hat, haben wir jetzt geklärt. Damit kommen wir zur zweiten, was jetzt die Jünger und was wir damit zu tun haben.
2. Was haben die Jünger mit dem Sauerteig zu tun?
In der FAZ online erschien dieses Jahr ein lesenswerter Artikel über das Scheitern und den Absturz. Es ging darin hauptsächlich um öffentlich bekannte Gesichter, wie Adolf Merkle, Christian Wulff und Karl-Theodor zu Guttenberg. Es heißt dort über den Grund, warum wir in der Gesellschaft und privat nicht über das Scheitern reden wollen:
„Scheitern ist eine narzisstische Kränkung […] die Erfahrung der Entwertung seiner selbst.“ Wenn man das Idealbild, das man von sich selbst entworfen habe, nicht erreiche, sei das Gefühl der Entwertung die Konsequenz. Es gibt demnach zwei Perspektiven, von denen aus man aufs Scheitern blicken kann: eine äußere und eine innere. Die äußere Perspektive ist leicht verständlich: Da wollte jemand unbedingt Professor werden, ist aber schon an der Doktorarbeit gescheitert und darüber womöglich depressiv geworden. So jedenfalls nehmen es die Freunde wahr. Komplexer wird es mit der Sicht nach innen. „Jeder Mensch macht sich über die Jahre ein Bild von sich selbst. Es ist sein Lebensentwurf. Er nimmt sich vor, was er erreichen oder wie er sein möchte. Dabei werde diese Idealvorstellung allerdings auch von einem unbewussten Teil beeinflusst. „Und gerade dieser unbewusste Teil, der häufig wie ein Auftrag wirkt, bringt uns so oft zu Fall.“ Wenn man des eigenen Scheiterns gewahr wird, ist die Welt um einen herum meistens schon viel weiter. Sie hat genug davon und will nicht mehr zuschauen.“
Dieses Scheitern der eigenen Selbstwahrnehmung und aller vorgefassten Erwartungen werden wir auch hier bei den Jüngern sehen. Mit der Frage „Habt ihr ein verhärtetes Herz?“ weist Jesus seine Jünger auf die erschreckende Problematik des Sauerteigs hin. Mit Sauerteig meint er ja eine stetig zunehmende und gottentfremdende, selbstbezogene Gesinnung. Wo wir also einmal einen egozentrischen Ausgangspunkt eingenommen haben, wird er Einfluss auf unser ganzes Denken gewinnen. Der Sauerteiganteil im Teig nimmt stetig zu, bis der ganze Teig durchsäuert ist. Wenn der Sauerteig erst einmal Teil des gewöhnlichen Teigs geworden ist, hilft nur das Wegwerfen und erneute Zubereiten.
Diese Grundhaltung wird als herzverhärtend beschrieben: Sie verklebt und verblendet den Menschen für die Offenbarung des lebendigen Gottes. So ein Mensch möchte unabhängig von Gott für sich und nach seinem eigenen Willen leben, und von Gott nicht behelligt werden. So war es ja gerade mit den Pharisäern – sie wollten von Jesus nichts wissen.
In diesen Versen kommt jetzt zum Vorschein, dass die Jünger genau das gleiche Problem hatten (vgl. Mk 4,10-13). Sie können Jesus ohne zögern sagen, wie viele Brotkörbe bei den beiden Speisungswundern übrig geblieben waren, aber sie sind unfähig, daraus angemessene Schlussfolgerungen zu ziehen. Nicht nur das: Sie nehmen das Offensichtlichste nicht wahr: nur Gott selbst, der Herr allein, kann solche Wunder tun, wie Jesus sie bei den Speisungen vollbracht hat!
- Darauf will Jesus auch mit Vers 18 hinaus: „Ihr habt doch Augen – könnt ihr nicht sehen? Ihr habt doch Ohren – könnt ihr nicht hören?“ Er zitiert hier aus dem Alten Testament, aus den Propheten Jeremia und Hesekiel (Jer 5,21; Hes 12,2).
- Sowohl Jeremia 5 als auch Hesekiel 12 sind Urteilsankündigungen über das ungläubige, verstockte Volk Israel. Weil die Israeliten den Herrn nicht fürchteten, erkannten sie die Dinge nicht mehr so, wie sie wirklich sind. In Jeremia 5 erzählt Jeremia von den großen Wundern Gottes, dass er nämlich das Meer in Grenzen hält und immer wieder aufs neue Regen und Sonne schenkt. Aufgrund ihrer fehlenden Gottesfurcht zogen die Juden aus den Wundern und Taten Jahwes nicht die richtigen Schlüsse, d.h. sie lebten so, als ob sie sie nicht sähen noch hörten. Die Folge war ein Leben, als ob es Gott nicht gäbe!
- Jesus macht deutlich, dass die Wunder, die er getan hat, so groß sind und zugleich am helllichten Tag geschehen sind, dass die Jünger eigentlich begreifen müssten, wer er ist.
- Jesus tritt hier selbst in die Rolle der alttestamentlichen Propheten. Wie die Propheten damals das Volk, ermahnt er jetzt hier seine Jünger. Denn auch sie haben es dringend nötig, weil sie ihren bedürftigen Zustand nicht erkennen.
Das trifft für uns genauso zu! In welchen Lebensbereichen, Anschauungen oder Umgangsweisen lebt ihr immer noch so, als ob es Gott nicht gebe? Wir müssen hier noch deutlicher werden: Es stehen gerade die, die Jesus nahe sind, in der Gefahr eines verhärteten Herzens. Die anderen, denen er ohnehin egal ist, haben das Problem nicht. Gerade wir stehen in der Gefahr, den, der die ganze Zeit bei uns ist, doch eigentlich nicht richtig zu kennen! Vielleicht meinen wir ihn ganz gut zu kennen, aber dabei sind es eher unsere eigenen Vorstellungen, wer Jesus ist und was er in unserem Leben tun soll, die uns betrügen!
Was Markus hier in dieser Stelle zuspitzt, bildet die Grundlage von Jesu Ruf in die Jüngerschaft: Es geht um das Scheitern der falschen Selbstwahrnehmung der Jünger und den Zerbruch ihres vorgefassten Denkens über Jesus. In den Evangelien begegnen uns immer wieder die falschen, vorgefassten Erwartungen von Jesu Mitmenschen. Sie erwarteten einen Messias, der in der Linie Davids als irdischer König auftreten würde und Frieden durch das Schwert bringen wird.
- Welche voreingenommenen Vorstellungen haben wir über uns, die wir ändern sollten?
- Wo behandeln wir uns selbst wie eine „heilige Kuh“, d.h. welche unserer Verhaltensweisen und Einstellungen dürfen von anderen auf gar keinen Fall hinterfragt werden, ohne dass wir sofort zurückschießen?
Jesus erschüttert und zerbricht die Erwartungen, die Selbstsicherheit und das feste Glaubenssystem der Jünger und erneuert sie, zum Vertrauen auf den dreieinigen Gott. Kurzum: Mit dem Sauerteig meint Jesus das verhärtete Herz der Jünger. Der Sauerteig beschreibt gerade die Situation in der Jesus sich mit seinen Jüngern hier während der Überfahrt befindet (Mk 8,14-16): Sie verstehen Jesus nicht geistlich; dazu sind sie schlicht unfähig. Sie besitzen zwar Ohren, hören aber nicht, besitzen Augen, sehen aber nicht.
Die einzige Hoffnung, die sie im Gegensatz zu den Pharisäern haben, ist dass Jesus bei ihnen bleibt und sie bei ihm, damit sie unter seinem Einfluss von ihrer Hartherzigkeit befreit werden. Damit kommen wir zum dritten Punkt:
3. „Versteht ihr, was ich an euch getan habe?“
„Versteht ihr, was ich an euch getan habe?“ – Diese Frage stellt Jesus seinen Jüngern in Joh 13,12 nachdem er ihnen die Füße gewaschen hat. Bei der Fußwaschung geht es nicht zuerst um etwas, was wir nachmachen sollen. Das kommt auf jeden Fall auch; Jesus selbst fordert seine Jünger in den nächsten Versen sogar auf, seinem Vorbild zu folgen. Aber vorher geht es ihm darum, dass er die Füße seiner Jünger wäscht. Jesus sagt zu Petrus: „Wenn ich dir nicht die Füße wasche, so hast du keine Gemeinschaft mit mir.“ Bevor die Jünger überhaupt in der Lage waren, Jesu Beispiel aus eigener Überzeugung zu folgen, mussten sie verstehen, wozu er gekommen ist und was er an ihnen getan hat.
Darum geht es auch in den Ereignissen ab Kapitel 8. Hier in Kapitel 8,27 beginnt nämlich ein zentraler Abschnitt des Evangeliums: Jesus macht sich auf seinen letzten Weg nach Jerusalem. Auf diesem Weg widmet er seine ganze Aufmerksamkeit den Jüngern. Er will sie noch einmal intensiv darüber belehren was jetzt geschehen wird, und wozu er eigentlich gekommen ist, ja, wer er eigentlich ist.
Die doppelte Fragestellung an die Jünger – wer sie denken selbst zu sein und wer Gott ihrer Meinung nach ist – bleibt bestehen und führt die Zwölf in eine Krise, d.h. in eine Situation, in der sie sich entscheiden müssen: für oder gegen Jesus. Mit jedem Schritt Jesu auf sein Ende in Jerusalem am Kreuz zu (Mk 10,45) wird auch das Scheitern der gebrochenen Selbst- und Gotteserkenntnis der Jünger deutlicher. Während Jesu Feinde seine göttliche Vollmacht zunehmend infrage stellen und seinen messianischen Anspruch verwerfen, wird das Scheitern der Jünger schließlich Realität. Wo sich Jesus dem Willen des Vaters unterwirft und seine Abhängigkeit von ihm bekennt (Mk 14,36), verlieren die Jünger den Glauben und werden gebrochen (Mk 14,50). Später werden sie dann vom auferstandenen Herrn erneut berufen und mit Erkenntnis und Glauben beschenkt (Mk 16,6f).
Was sollen die Jünger also verstehen?
- Die Jünger sind nicht besser als andere. Nur in ihrer Gemeinschaft mit dem Sohn Gottes selbst, dem Herrn, besteht ihr Heil.
- Wenn Jesus seinen Jüngern in unserem Abschnitt bestimmte Fragen stellt (Mk 8,19-20) – es sind immerhin sieben Fragen –, will er keine Informationen von ihnen, sondern in ihnen einen Prozess des Selbstverstehens einleiten. Er konfrontiert sie mit sich selbst. Das Ziel Jesu ist sie Selbst- und Gotteserkenntnis der Jünger. Deshalb der Titel dieser Predigt: „Über unausweichliches Scheitern und ein gutes Ende“
- Wir sind zu vollständiger Ehrlichkeit gegenüber Gott aufgerufen, weil derjenige, der die Kraft hat, uns zu heilen, schon weiß, wie es uns geht. Jesus ist von nichts, was wir in unserem Herzen entdecken überrascht, er hat es uns ja erst offenbart. Warum sollten wir weiter so tun, als wären wir keine Sünder, oder nur ‚kleine Sünder‘? Warum sollten wir fortfahren ein Leben zu führen, das geteilt ist, in etwas, das wir vortäuschen zu sein und etwas, das wir in Realität sind?
Der Ruf zur Jüngerschaft ist kein Ruf zur Leistungsfähigkeit, sondern in die Hingabe gegenüber der Liebe Gottes und damit auch in die Befreiung von Selbstbezogenheit durch Jesu Sterben und Auferstehen. Wir kapitulieren vor dem und geben uns dem hin, der uns in seiner demütigen Liebe, Güte und Kenntnis unserer Herzen nachgeht und bei uns bleibt. Wir können Gottes Liebe vertrauen, weil er uns nicht mit der Last unserer Selbsterkenntnis allein lässt, sondern uns befreit durch die Zusicherung seiner Liebe.
Die Jünger sollen ehrlich vor Gott bekennen, wer sie wirklich sind und wissen, dass er sie trotzdem unbegreiflich liebt und als so wertvoll erachtet, dass er seinen Sohn für sie hingibt.
Denn Jesus hat die Jünger letztlich nicht durch eine Ermahnung befreit. Sondern er ist erst durch den Erweis seiner unfassbaren, opferbereiten Liebe am Kreuz zu seinen Jüngern durchgedrungen, das ist die Aussage von Johannes 13 und Markus 10,45. In der Gemeinschaft mit Jesus ist Veränderung möglich, weil er sein Leben für uns hingegeben hat:
„Als nun die zehn (übrigen Jünger) dies hörten, begann sich der Unwille über Jakobus und Johannes in ihnen zu regen. Da rief Jesus sie zu sich und sagte zu ihnen: Ihr wisst, dass die, welche als Herrscher der Völker gelten, sich als Herren gegen sie benehmen und dass ihre Großen sie vergewaltigen. Bei euch aber darf es nicht so sein, sondern wer unter euch groß werden möchte, muss euer Diener sein, und wer unter euch der Erste sein möchte, muss der Knecht aller sein; denn auch der Menschensohn ist nicht (dazu) gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um selbst zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele hinzugeben.“
Wir müssen lernen uns selbst so zu sehen, wie Christus uns sieht: nämlich als selbstzufriedene – die Jünger lebten zufrieden in ihrer Brot-Welt – und gebrochene, aber von Gott überaus geliebte und vor ihm wertvolle Menschen. Er ruft uns in einem fortwährenden Ruf dazu auf, umzukehren und den Weg unserer Selbstbezogenheit und Selbstbestimmung aufzugeben. Wir sollen immer mehr zunehmen in der Abhängigkeit und dem Vertrauen auf ihn, indem wir unter seiner bleibenden Liebe in allen Bereichen unseres Lebens leben.
1 Kommentar
Sehr köstliches Seelen-Brot!
Absolut empfehlenswert zu hören.