Was ist Vergebung?

von Ludwig Rühle
6 Kommentare

Da wir alle Sünder sind, bedeutet das auch, dass andere sich an uns versündigen. Das heißt, dass wir potentielle Opfer für Sünder und Sünden sind. Wie sollen wir in diesen Fällen reagieren? Viele Menschen, sicher auch einige unter euch, haben grausame Dinge im Leben erfahren, durch andere Menschen, wahrscheinlich sogar durch sehr nahestehende Menschen. (Lüge, Verhöhnung, Spott, Verleumdung, Vernachlässigung, Hass, Vergewaltigung, Misshandlung, Ehebruch …)

Damit wir nachvollziehen können, was Vergebung bedeutet, damit wir diese Sache nicht einfach nur pauschal und mit Abstand betrachten, bitte ich Euch, dass Ihr euch jetzt die Person vor Augen haltet, die sich am schlimmsten an euch versündigt hat. Die Person, die euch immer wieder zu schaffen macht, wo es euch schwerfällt zu vergeben. Macht an dieser Sache das konkret, was die Bibel über Vergebung lehrt!

Es gibt nach der Bibel nur zwei Möglichkeiten mit Sünde umzugehen: Vergebung oder Verbitterung. Das ist schon mal grundlegend. Wenn wir nicht vergeben, dann schneiden wir uns ins eigene Fleisch. Das gilt auch für die schlimmsten Sünden, die wir erfahren haben. Wenn wir sie nicht vergeben, dann bleibt uns auf Dauer nur zu verbittern. (Zum Beispiel wird der Schaden in Beziehungen und Familien erst unheilbar, weil zum eigentlichen Problem noch die Verbitterung und Verhärtung dazugekommen ist.)

Aber was heißt überhaupt vergeben? Ich denke, oftmals haben wir vielleicht eine falsche Vorstellung von Vergebung und darum fällt es uns schwer, zu vergeben, oder wir haben das Gefühl, dass wir noch nicht wirklich vergeben haben. Darum möchte ich zuerst klären, was Vergebung nicht ist…

  1. Vergeben bedeutet nicht, dass man Sünde verharmlost – Es macht Sünde nicht klein nach dem Motto: Ist ja nicht so schlimm. Wir sind alle Menschen usw. – Sünde ist immer schlimm. Jesus musste dafür sterben!
  2. Vergebung ist nicht „Warten auf eine Entschuldigung“. Manche Menschen werden sich nie ändern. Sie werden nie Einsehen haben. Manche Menschen gehen nachdem sie dir Leid zugefügt haben, einfach weg. Du wirst sie nie wieder sehen. Manche Menschen sterben, bevor auch nur der Hauch einer Einsicht über ihre Sünde an dir kommt. Aber das soll uns nicht abhalten, ihnen zu vergeben. „so viel an Euch liegt, haltet mit allen Menschen Frieden“. Tu was du tun kannst, vergib deinen Schuldigern, bevor sie dich um Verzeihung bitten.
  3. Vergebung bedeutet nicht, dass man die Verletzung und den Schmerz nicht mehr spürt. Manche schrecklichen Sünden hinterlassen schmerzende Wunden. Vergebung bewahrt uns vor Verbitterung, aber Vergebung macht die Verletzung und den Schmerz nicht ungeschehen. Gott kann schenken, dass der Schmerz nachlässt. Aber wir dürfen nicht denken, dass wir erst Vergeben können, oder erst vergeben haben, wenn wir den Schmerz nicht mehr fühlen.

  4. Vergebung ist kein einmaliges Geschehen. In manchen Fällen, sündigt die jeweilige Person wieder und wieder an uns – dann sollen wir wieder und wieder vergeben. Manchmal ist es aber auch so, dass man in gewissen Momenten an die vorgefalle Sünde erinnert wird und erneut Wut und Verbitterung hoch kommen. Auch dann müssen wir wieder vergeben… gewissermaßen unsere Vergebung erneut bestätigen. Ein Beispiel: Ein Mann hat seine Frau betrogen. Sie waren in der Seelsorge, sie haben darüber gesprochen, vergeben und einen neuen Anfang gemacht. Und dennoch kommt es vor, dass all die Erinnerung und die Verletzung bei der Frau hochkommt, wenn sie ihren Mann mit einer anderen Frau reden sieht. Dieser Mann hat nichts Falsches gemacht, Er hat sich nur unterhalten, aber dennoch kommen diese Gefühle bei der Frau hoch. Sie muss ihm erneut vergeben, damit sie sich nicht erneut verbittert.

  5. Vergebung heißt nicht, dass Sünde nicht gesühnt werden muss. Man kann vergeben, und dennoch muss Sünde gesühnt werden. Die Sache muss in Ordnung gebracht werden.
  6. Vergebung bedeutet nicht gleich Versöhnung. Vergebung bedeutet nicht, dass sofort alles wieder so ist, wie vorher. Zur Versöhnung braucht es zwei Seiten: eine Person, die vergibt und eine Person, die um Vergebung bittet. Aber auch wenn es keine Versöhnung gibt – wir sollen Vergeben. Wir sollen den ersten Schritt zur Versöhnung gehen. Und wenn es zur Versöhnung kommt…
  7. … bedeutet Vergebung nicht gleich Vertrauen. Vertrauen wird schnell zerstört, aber nur sehr langsam aufgebaut. Vergebung und Versöhnung sind die ersten Schritte, um wieder vertrauen zu können. Aber Vergebung heißt nicht schlagartig wieder zu vertrauen.
  8. Vergebung heißt nicht gleichzeitig die Sünde zu vergessen (vergeben und vergessen). „Oh ich habe diese Sache immer noch nicht vergessen… ich habe sie immer noch nicht vergeben?!“ Viele Dinge kann man nicht vergessen, vielleicht verdrängen, aber nicht vergessen. Wer hintergangen wurde, misshandelt, vergewaltigt, betrogen, belogen, verspottet… der kann das nicht vergessen.

Manche bringen Jeremia 31,34 vor „…ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.“ Das heißt nicht, dass Gott unsere Sünden vergisst. Gott weiß alles! Gott wird sich nicht eines Tages im Himmel am Ohr kratzen, und sich wundern, was er alles vergessen hat. Gott ist allwissend! Gott ist Gott! Was heißt es dann? Es bedeutet, dass Gott entschieden hat, nicht auf der Basis dessen mit uns umzugehen, was wir getan haben, sondern auf der Basis dessen mit uns umzugehen, was Christus für uns getan hat. Er sieht uns nicht als Sünder an, sondern als Kinder in Christus!

Das bedeutet Vergebung! Wenn wir einer Person vergeben, dann heißt das, dass wir nicht auf der Basis mit ihr umgehen, was sie an uns getan hat, sondern auf der Basis, was Christus für uns getan hat. Im Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht (Mt 18,21-35) macht Jesus das sehr eindrücklich deutlich.

Wir vergeben unseren Schuldigern, weil Christus unsere Schuld vergibt! Jesu Vergebung hängt nicht von unserer Leistung, von unserer Vergebung ab. Aber seine Vergebung befähigt uns, ja treibt uns dazu an, auch anderen zu vergeben. Ja es ist sogar so, dass Gott in unserem Leben auch positiv durch die Sünden anderer wirkt. Sünde bei anderen soll uns an die Sünde im eigenen Leben erinnern und dann hoffentlich auch an die Notwendigkeit der Vergebung.

Auch interessant

6 Kommentare

Johannes T. 10. Januar 2013 - 14:15

Guter Artikel.
Vergebung ist und bleibt ein wichtiges Thema, auch bei Christen.

antworten
jesaja662 25. Januar 2013 - 11:07

Ja sehr gut!
Weiter so mit diesem Blog!

antworten
Andrea Schmoll 12. Mai 2013 - 08:44

Sehr geehrter Herr Rühle,

heute am Muttertag lesen ich Ihren Artikel über Versöhnung – mein Vater starb am 27.1.2013 – meine Mutter hat mich seit 2005 verstoßen – und sie fehlt mir – ich sitze nach einer neurorchirurgischen OP im Rollstuhl und kann seit 4 Monaten das Haus nicht verlassen – ich bat die Mutter, dass wir uns versöhnen – keine Reaktion – sie maht mich in der ganzen Stadt schlecht – nennt meinen Namne nict in der Todesanzeige des Vaters … redet mich vor der Pfarrer schlecht, der die Seelsorge verweigert – ich denke an Suizid, da ich so mit dem Rücken gegen die Wand stehe – der Kern: Ich erfahre, dass ich nicht geliebt werde – Andrea Schmoll

antworten
Ludwig 20. Mai 2013 - 21:48

Liebe Andrea (ich hoffe es ist in Ordnung, wenn wir „Du“ zueinander sagen),

es tut mir Leid, dass ich erst jetzt antworten kann. Ich war im Urlaub. Was meine Brüder geschrieben haben kann ich nur unterstützen. Ich habe auch eine Predigt zum Thema „Trennungen in der Familie“ in unserer Gemeide gehalten. Sie wird wahrscheinlich demnächst auf Josiablog.de veröffentlicht.

Deine Situation tut mir sehr Leid. Aber wie schlimm sie auch ist, Gott ist hier nichts aus dem Ruder gelaufen. Gott ist der Herr und er hat alles in seiner Hand auch in Deiner Situation. Es mag für Dich jetzt hart klingen, aber Gott will Dich durch Leid nicht von sich wegtreiben, sondern zu sich hinziehen. Er möchte, dass Du ganz tief erkennst, dass Du von ihm abhängig bist, dass Du ihn brauchst und dass er für Dich da ist. Gott sagt uns das ganz deutlich im Jakobusbrief 1,2-5. Er sagt aber auch, dass wir seine Weisheit brauchen, um das zu erkennen und dann auch das Richtige zu denken, zu sagen und zu tun. Also sollen wir Gott um Weisheit bitten, und nicht daran zweifeln, dass er uns nicht helfen will oder dass er es nicht gut meint oder dass er gar willkürlich in unserem Leben handelt.

Das alles bedeutet nicht, dass das gut ist, was Dir in Deiner Familie widerfahren ist. Sünde ist nie gut. Aber Gott ist so groß und mächtig, dass er trotz Sünde zu seinem guten Ziel kommt. Anhand von Jesus Christus und seinen Feinden, die ihn letztlich an das Kreuz gebracht haben, können wir das erkennen. Sie wollten Jesus und sein Werk vernichten, aber letztlich mussten sie alle, sei es Judas, die Pharisäer oder gar der Teufel selbst Gottes Plan dienen. Sie haben Christus ans Kreuz gebracht. Er musste unheimlich viel erleiden, aber er hat gerade so Gottes Plan erfüllt und uns das Heil erworben. Auch das Leid in Deinem Leben hat einen Sinn. Auch wenn Du und ich es jetzt noch nicht sehen können. Gott kann es sehen und das muss Dir erst mal ausreichen. Übrigens kannst Du am Leiden und Sterben von Christus auch sehen, dass Du geliebt wirst. Christus hat dieses Leiden aus Liebe zu uns auf sich genommen. Was auch immer wir unter Liebe verstehen, in Christus sehen wird die wahre, bedingungslose, göttliche Liebe!

In Deiner Situation ist es natürlich auch sehr wichtig, wie Waldemar schon geschrieben hat, dass Du mit einem oder mehreren anderen Christen darüber sprichst, zu denen Du Vertrauen hast und die Dir biblischen Rat geben können und mit und für Dich beten. Und dass Du dort auch die Liebe unter Christen erfährst. Ich bete für Dich und wenn Du willst, kannst Du mir auch schreiben oder mich anrufen. Um Dir konkreten Rat zu geben, müsste ich natürlich mehr über Deine Situation und die Hintergründe erfahren. Meine Kontaktdaten findest du auf der Seite meiner Gemeinde: http://www.beg-os.de

Gott befohlen! Ludwig

antworten
Simon 12. Mai 2013 - 12:08

Hallo Andrea,

schön, dass du auf unseren Blog und diesen großartigen Artikel von Ludwig gestoßen bist.
Vielen Dank für deine offenen und ehrlichen Worte.
Die Erfahrung, von engstehenden Menschen nicht geliebt zu werden, ist hart. Wie wunderbar ist es da doch zu wissen, dass wir einen himmlischen Vater haben, der uns über alle Maßen liebt und all unsere Schuld vergeben hat. Hoffentlich darfst du auch diese Erfahrung deine eigene nennen.

Ich bete, dass die Versöhnung mit deiner Mutter zustande kommt!
Gott segne dich!
Simon

antworten
Waldemar 12. Mai 2013 - 19:00

Liebe Andrea,

ich bin echt ohne Worte. Hier gibt es nichts zu beschönigen und zu verharmlosen: Deine Situation erfordert es, dass Gott höchstpersönlich eingreift! Gerne würde ich dir darum meine Predigt von heute in den kommenden Tagen zukommen lassen, wenn du das möchtest.

Gerade vorgestern schrieb mich ein Mädchen an, die ebenfalls Selbstmordgedanken hegte. Ein vergangener Beitrag von mir hatte sie diesbezüglich ermutigt. Gott sei es gedankt! Vielleicht interessiert der dich ja?: Wenn dich deine Gedanken umbringen (Jesus24.de)

Ich denke es ist notwendig, dass du dich jemanden in einem persönlichen Gespräch anvertraust. Am besten einem Pastor oder Seelsorger, der dir das Gespräch NICHT verweigert.
Vielleicht kennen wir geeignete Personen in deiner Umgebung?!

Wenn du magst, dann kannst du sicherlich die Verantwortlichen von Josia über das „Kontaktformular“ kontaktieren.
Mich kannst du hier kontaktieren: „Kontaktformular“

Liebe Andrea, verlier nicht den Mut. Eine Lüge muss nicht wahr sein, um dich zu zerstören. Sie muss einfach nur geglaubt werden. Gott weiß, was du durchmachst. Gott ist nicht fern. Gott ist nah und er ist da. Gottes Liebe ist unendlich, weil er selbst die Liebe ist. Diese Liebe gilt dir. Ich wünsche dir, dass Gott dir begegnet und dich mit seinem Segen umgibt!

Gottes Kraft wünsche ich dir!
Waldemar

antworten

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Cookies. Wenn Du die Seite weiter benutzt, gehen wir von Deinem Einverständnis aus. OK