Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.
Lukas 6,36.37 [LUT]
Hier haben wir ein Wort von Jesus, welches nicht nur vielen Christen, sondern vor allem vielen Nichtchristen bekannt ist: „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet!“ Wenn man eine Sache kritisiert, wenn man auf Sünden hinweist, so bekommt man oft diesen Vers bzw. Vorwurf als Antwort zu hören.
Wie gehen wir mit diesem Vorwurf um? Und noch wichtiger: Wie gehen wir mit dem Wort Jesu um? Wie sollen wir mit unseren Mitmenschen, mit unserem Nächsten umgehen? Wie sollen wir auf sie reagieren, wenn sie schlechte Dinge tun, wenn sie gegen Gott sündigen. Ja wie sollen wir reagieren, wenn sie gegen uns sündigen? Dürfen wir über sie richten oder müssen wir uns stets zurückhalten? Jesus behandelt diese Frage im zweiten Teil der Bergpredigt im Lukasevangelium und seine Antwort lautet: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Aber wie sieht das konkret aus?
Denen vergeben wurde, die sollen vergeben
Gott ist barmherzig zu uns, und darum sollen auch wir barmherzig sein. Aber interessant: Gott macht seine Barmherzigkeit wiederum auch von unserer Barmherzigkeit abhängig. „Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. Gebt, so wird euch gegeben…(6,37-38a [LUT])
Auch Christen werden von Gott nach ihren Taten belohnt. Wir sollen durch unser Handeln und Reden Schätze im Himmel sammeln. Unter anderem in Lukas 14 macht Jesus das deutlich. Er ist bei einem hohen Herrn zum Essen eingeladen und als Dank lehrt er ihn, dass er Menschen einladen soll, die so arm sind, dass sie nicht in der Lage sind, auch ihn wieder einzuladen: „… so wirst du glückselig sein; denn weil sie es dir nicht vergelten können, wird es dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten“ (14,14).
Wir sollen lieben, Gutes tun, vergeben usw. wie unser Vater im Himmel. Aber wie meint Jesus das mit dem Richten bzw. Verdammen? Ist richten nicht notwendig? Sollen wir nicht beurteilen, einteilen, beschließen und unterscheiden?
Das NT lehrt deutlich, dass es viele Fälle gibt, wo wir durchaus richten sollen, wo wir uns eine Meinung bilden, Dinge zurückweisen oder ermahnen müssen. Ich möchte drei wichtige Gebiete anführen:
a) Gemeinde: In einer Gemeinde muss es gegenseitige Ermahnung, in besonderen Fällen sogar Gemeindezucht geben. Paulus muss im 1. Korintherbrief dieses Thema ansprechen: „Denn was gehen mich die draußen an, dass ich sie richten sollte? Habt ihr nicht die zu richten, die drinnen sind? Gott aber wird, die draußen sind, richten. Verstoßt ihr den Bösen aus eurer Mitte!“ (1. Kor 5,12-13 [LUT]) Auch an die Thessalonicher schreibt er: „Wir ermahnen euch aber, Brüder: Verwarnt die Unordentlichen, tröstet die Kleinmütigen, nehmt euch der Schwachen an, seid langmütig gegen jedermann!“ (1. Thess 5,14 [LUT])
Wichtig ist, dass es nicht darum geht, jemanden zu verdammen, sondern zu helfen. Wir sollen auf Fehler, auf Sünden hinweisen, aber in Liebe und um uns auf den rechten Weg zu geleiten.
b) Freundschaft: In Sprüche 27 geht es um Freundschaft. Neben vielen wichtigen Hinweisen erklärt Salomo in den Versen 5 und 6, was der Kern einer wahren Freundschaft ist: „Besser Zurechtweisung, die aufdeckt, als Liebe, die verheimlicht. Treu gemeint sind die Schläge des Freundes, aber reichlich sind die Küsse des Hassers.“ (Sprüche 27,5-6 [LUT])
Auch hier wird deutlich: Es geht um das Wohl des Freundes, nicht darum, ihn zu verdammen. Wir sollen ihm helfen, anstatt ihn ins Verderben rennen zu lassen. Übrigens gehört auch dazu, dass man als Christ bereit ist, sich ermahnen zu lassen. Einem Mitchristen, der uns ermahnt, sollten wir dankbar sein, anstatt in jede Ermahnung gleich eine Verurteilung hineinzudeuten.
c) Gefahr für die Gemeinde oder den Glauben durch Irrlehre: Paulus schrieb u.a. an Timotheus: „Ich habe dich ja bei meiner Abreise nach Mazedonien ermahnt, in Ephesus zu bleiben, dass du gewissen Leuten gebietest, keine fremden Lehren zu verbreiten“ (1. Tim 1,3 [LUT]) oder an die Thessalonicher: „Prüft alles, das Gute behaltet!“ (1. Thess 5,21 [LUT])
Worum geht es Jesus nun, wenn er sagt: „Richtet nicht!“ Jesus weist nicht die angemessene moralische Bewertung und Ermahnung, sondern die verdammende, zensierende Haltung gegen andere zurück. Eine Haltung, die andere in ihrer Schuld niederdrückt anstatt sie ermutigt, Gott zu suchen.
Jesus richtet sich gegen unsere Arroganz, gegen unseren religiösen Dünkel, gegen unser Denken: „Wir sind etwas Besseres. Wir leben nach den Maßstäben der Bibel.“ Wie schnell schauen wir herab auf die moralisch verfallene Welt, auf die vielen Menschen, die Gott verwerfen: „Wie können die nur! Typisch! Warum wollen die es nicht endlich einsehen!?“ Wie schnell urteilen oder verurteilen wir sogar: „Diese Leute werden es eh nie einsehen. Das ist hoffnungslos!“ Wir maßen uns letztlich an zu beurteilen, dass diese Menschen außerhalb von Gottes Wirkungsbereich sind.
Paulus geht in Römer 15 auf ähnliche Konflikte ein und macht dabei auch den Unterschied zwischen Urteilen im Sinne von Ermahnen und Urteilen im Sinne von Verurteilen deutlich. Die Christen, die wegen ihres Gewissens diese und jene Sache nicht essen oder verschiedene Tage besonders halten, sollen andere Christen nicht verurteilen, welche alle Dinge essen und alle Tage gleich ansehen und umgekehrt. „Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden ja alle vor dem Richterstuhl des Christus erscheinen“ (Röm 14,10 [LUT]). Paulus führt dann weiter aus, dass wir nicht Gefallen an uns selbst haben sollen, sondern ein jeder soll seinem Nächsten gefallen zum Guten. Aber das schließt nicht aus, dass wir uns gegenseitig ermahnen sollen: „Ich selbst habe aber, meine Brüder, die feste Überzeugung von euch, dass auch ihr selbst voll Gütigkeit seid, erfüllt mit aller Erkenntnis und fähig, einander zu ermahnen“ (Röm 15,14 [LUT]).
Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen Beurteilen und Verurteilen, zwischen Ermahnen und Richten. Wir sollen an der Biblischen Wahrheit festhalten, sie bekennen und, wenn es sein muss, verteidigen. Aber wir müssen uns davor hüten, uns als Richter über andere Christen aufzuschwingen, sie zu verurteilen und uns selbst als die besseren Christen darzustellen. Jesus lehrt seine Jünger darum, dass sie sich mit Verurteilen zurückhalten, dafür aber schnell mit Vergeben sein sollen. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. (Lk 6,37)
Jesus sagt: „Urteilt und dann vergebt.“ Er sagt nicht: „Urteilt und dann verdammt.“
Wir sollen vergeben. Aber auch die Vergebung schließt ein Beurteilen im angemessenen Sinne nicht aus. Es schließt es geradezu mit ein! Wenn wir vergeben, müssen wir vorher urteilen. Dazu müssen wir uns klar machen, was Vergeben nicht bedeutet. Vergebung bedeutet nicht, …
a) …dass man Sünde akzeptiert. Nein, es ist das Gegenteil: Wenn man vergibt, macht man sehr deutlich, dass etwas vorgefallen ist, dass es etwas gibt, was vergeben werden muss. „Was du mir getan hast, war falsch, aber ich werde dir vergeben.“
b) …dass man Sünde klein macht, nach dem Motto: Ist ja nicht so schlimm. Wir sind alle nur Menschen. Nein! Sünde ist schlimm. Jesus musste dafür sterben!
c) …dass man Sünde zudeckt. Sünde muss ans Licht gebracht werden, um Vergebung zu erlangen.
Jeder kann sich fragen: Gibt es jemanden in meinem Leben, dem ich vergeben muss. Dem ich immer noch etwas vorhalte. Den ich darum verurteile. Wem muss ich vergeben?